Sonntag, 28. April, 2024

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Ich bin rund – das hat einen Grund! Kolumne von Barbara Edelmann

Neulich beschwerte sich mein Handy über zuwenig Speicherplatz, also machte ich mich ans Löschen. Man braucht ja nicht wirklich 2314 Katzenfotos, von denen eines aussieht wie das andere, To-do-Listen aus 2018 oder ein Video von mir mit “Stille Nacht” als Sprechgesang neben dem Elektrokamin, dachte ich mir.

Unter “Notizen” stieß ich auf eine Liste mit Häkchen und ein paar Aufzeichnungen aus der Zeit des sogenannten “Lockdown” in Deutschland, als wir alle angehalten wurden, zuhause zu bleiben.

Corona-to-do`s

Auf der Liste ist (natürlich) nichts abgehakt und die Textschnipsel brachten mich nachträglich zum Schmunzeln. Deshalb habe ich mir erlaubt, sie heute, etwas aufbereitet, als Kolumne zu veröffentlichen, um der damaligen beklemmenden Situation wenigstens im Nachhinein ein kleines Fitzelchen Lustiges abzugewinnen. Ich hoffe, Sie lesen es mit Nachsicht – damals hielt ich es scheinbar für eine gute Idee:

Tag 2
„Stay at home“ – liest man momentan überall. Gerade hat die 82jährige Ilse von gegenüber geklingelt, weil dieser Spruch am oberen Rand ihres Handy-Displays aufgetaucht ist – eine Serviceleistung von Vodafone. Nachdem ich ihr die Bedeutung erklärt hatte, zog sie ernüchtert von dannen, denn ihre Kaffeefahrt nach Gut Aiderbichl fällt aus.

Mein Handy quillt über vor Whats-App-Nachrichten wegen der Ausgangs- und Einkaufsbeschränkungen. Offen gestanden verstehe ich nicht, was die Leute alle haben, denn ich gehe auch in “normalen” Zeiten nicht viel raus. Mit meinen Abos von Prime, Netflix, Apple-TV, Joyn und Disney werde ich es wohl aushalten. Für mich ändert sich nicht viel.

Tausend unerledigte Sachen…

Morgen schreib ich eine Liste der Dinge, die ich schon ewig erledigen wollte. Das machen jetzt alle.

Tag 3
To-Do-Liste ist fertig: Sämtliche DVDs nach Titel sortieren. Alle Bücher nach Autor. Den Kleiderschrank ausmisten. Fenster putzen. Keller entrümpeln. Das trendet grade total, habe ich bei Facebook gelesen: zuhause Ordnung reinbringen. Davon kann man nie genug haben.

Aber zuerst backe ich mir einen Kuchen. Den esse ich später zu „Hawaii-5-0“, bin nämlich eine Staffel im Rückstand.

Nachtrag: Habe hinterm Grieß (wie lange hält der eigentlich?) abgelaufene Dinkelflocken entdeckt und daraus Bratlinge gemacht.

Man kann doch nichts verkommen lassen. Ohne Beilage schmecken die aber nicht, also noch fix Kartoffeln gebraten. Lecker.

Tag 4:
Kaum geht man ins Internet: „Corona, Corona“. Das deprimiert mich. Habe heute bei Amazon Vitamine bestellt und ca. 30mal Fieber gemessen. Schätze, 36,3 sind ok. Oder ist das zu niedrig? Besser nicht googeln.

Bloß nicht googeln, wenn es einem schlecht geht!

Da sieht alles immer aus wie in Stein gemeißelt. Ich hab das mal mit dem Wort „Durchfall“ gemacht. Nie wieder.

Tag 5:
Meine Amazon-Bestellung ist schon da. Vitamin C, Vitamin D, Vitamin B12, Selenkapseln, Dragees aus Meerrettich und Kapuzinerkresse, Kreuzkümmel, Traubenkernextrakt und Lysin-Kapseln. Letztere sind so groß wie die Hindenburg, helfen aber angeblich sogar gegen Falten. Schaden kann’s nicht. Rein damit.

Tag 6
Heute las ich in einem Artikel: „Bakterien muss man aushungern, Viren muss man füttern.“ Also Diät bei einer bakteriellen Infektion, und richtig zulangen bei einem Virus. Hab mir sofort einen Karton Nutella bestellt – diese kleinen Gläser mit jeweils 25 Gramm Inhalt.

Süßes als Lockdown-Tröster

Die kann man mit dem Teigschaber von Tupper prima auskratzen. Wenn’s der Doktor sagt…

Tag 7
Angeblich misten ja alle ihre Wohnung aus, wie ich bei Facebook immer wieder lese. Warum hab ich nur gar keinen Bock drauf? Woher nehmen diese Leute nur die Energie? Außerdem müsste ich dringend das Auto aussaugen und im Keller nach den Geranien von 2019 schauen. Die sind jetzt wohl verendet.

Au weia: Ich wusste gar nicht, wie viele verschiedene Sorten Nudeln ich hier rumliegen habe. Und chefkoch.de hat ja nicht geschlossen. Also koche ich mir erst mal was. Danach sehen wir weiter.

Tag 11
Mal wieder bei Facebook reingeschaut. Hat sich nix geändert. Corona hier und Virus dort. Würde mich jetzt sogar über einen Artikel übers Klima freuen.

Erst einmal was backen

Kommentarbereiche von Online-Zeitungen fühlen sich derzeit an wie der Kessel von Stalingrad – alle scheinen aggressiv zu sein. Wird Zeit, meine To-Do-Liste endlich abzuarbeiten. Aber zuerst backe ich einen Mähdrescherkuchen.

Nachtrag: Das Rezept kann ich empfehlen! Aber nur, wenn der Internist mit dem Blutdruckmessgerät neben einem sitzt oder man tatsächlich hinterher mäht oder drischt (auf einem echten Acker!), um die Kalorien abzuarbeiten. Mit der Masse an Butter und Zucker, die da drin sind, käme eine dreiköpfige Familie locker über den Winter.
Morgen arbeite ich meine To-Do-Liste ab. Definitiv.

Tag 14
War zum ersten Mal mit Maske beim Einkaufen und kam mir vor wie der Komparse in einem Seuchenthriller. Ich sehe mit dem Ding aus wie Hannibal Lecter aus “Das Schweigen der Lämmer” für Arme. Andererseits sieht man jetzt viel weniger von meinen Falten… das hat was.

Einkaufen im Lockdown nervt

Vor dem Supermarkt steht Security wie in Caracas. Hat mir keinen Spaß gemacht. Keiner lacht, die Leute irren schweigend durch die Gänge. Wenn jemand hustet, zucken alle zusammen. Will wieder nach Hause. Solange ich nicht rausgehe, kommt mir alles beinahe normal vor. Die Sonne scheint, ich gucke die Fenster an und krieg ein schlechtes Gewissen… Dann koche ich was. Nervennahrung.

Tag 16
Hab endlich mit dem Ausmisten meiner Klamotten angefangen und sofort wieder aufgehört. Mehr Horror empfinde ich nur beim Lesen meiner Kontoauszüge. Schätzungsweise passe ich in nix mehr rein. Das liegt wahrscheinlich an den Nutella-Gläschen. Gestern musste ich sogar meinen Schokoladenvorrat für schlechte Zeiten anbrechen, weil das Nutella bereits alle ist.

Klopapier – ein Sinnbild der Corona-Krise

Draußen in den Läden wird um Klopapier gestritten, davon hab ich genug, sogar noch einen riesigen Packen superflauschiges “AS Premium” von Schlecker, der 2012 insolvent ging, aber das schmeckt mir nicht.

Klamotten aussortieren ist gestrichen. Ich ziehe die Yogahose mit dem Loch wieder an. Mir doch egal, wie der Postbote guckt.

Tag 17
Wäsche gewaschen und einen halben Liter Hygienespüler reingeschüttet. Diese Zeitungsartikel machen einen echt fertig. Wollte anfangen, zu putzen, habe aber ohnehin längst jeden Quadratzentimeter in der Bude desinfiziert.

Überdosierte Vitamine?

Auf meinem Esstisch könnte man eine Lebertransplantation vornehmen. Mir ist ständig schlecht. Könnte das an den 8 verschiedenen Kapseln und Dragees liegen, die ich täglich schlucke?

Werde ab morgen die Hälfte weglassen, sonst muss ich mir bei Amazon einen Brech-Eimer bestellen. Einen großen.

Tag 18
Heute Videokonferenz mit der Firma. Hab den Verdacht, dass ich nicht die einzige mit Yogahose und einer hübschen weißen Bluse drüber war. Der Boss hat auffallend zugenommen und sieht ziemlich schwammig aus um das Kinn herum. Bestimmt isst der auch heimlich Nutella.

Kuchen für den Chef

Hab ihm was von meinem Kuchen angeboten, per DHL. Er ist ja offenbar kein Kostverächter.

Tag 19
Muss dringend Haarfarbe bestellen, war seit Monaten nicht mehr beim Friseur. Hab mir den Pony geschnitten und sehe jetzt von vorn aus wie eine besoffene Bette Davis und von hinten wie Cousin It aus der „Addams Family“. Neulich haben sich meine Haare, die mittlerweile beinahe bis zum Hintern reichen, beim Schlafen um meinen Hals gewickelt.

Tag 20
Was ich bisher von meiner Liste erledigt habe? Äh, nix. Kuchen und Waffeln habe ich gebacken, weil sonst die Eier schlecht geworden wären. Die Waffeln wollte ich einfrieren, hab sie dann aber sofort gegessen.

Abnehmen kann man “danach” immer noch

Ich kann ja, wenn alles vorbei ist, zu den Weight Watchers gehen. Falls ich dann noch durch die Wohnungstür passe.

Putzen tue ich irgendwann wieder. Kommt ohnehin keiner. Wäsche waschen genauso. Hab genug zum Anziehen. Hoffe ich.

Tag 21
Heute ist mein Geburtstag. Herzblatt hat einen ganzen Putzeimer voller Blumen aus dem Supermarkt angeschleppt. Man kann ja weder ausgehen noch verreisen. Später habe ich mir zur Feier des Tages Essen vom Lieferservice bestellt, das ich selbst für wesentlich weniger Geld besser hinbekommen hätte.

Zeit, um kreativ zu werden!

Ich werde einen Back-Videoblog starten. Warte nur immer noch auf mein Stativ aus China, damit ich loslegen kann. Schade. Sie haben echt was versäumt. Die gebackenen Semmelknödel haben prima zu meiner selbstgemachten Sauce geschmeckt. Und niemand hat gesehen, wie ich bis zum Ellbogen im Knödelteig steckte. Meine Haare auch.

Tag 22
Die vor einer Woche online bestellte Marzipan-Torte ist heute gekommen. Pünktlich einen Tag nach meinem Geburtstag, für den sie eigentlich gedacht war. Sie hatte einen Durchmesser von 10 Zentimetern. Bei einer Feier mit Gästen wäre ich aufgeschmissen gewesen. Für mich reichte es gerade so.

Nicht alles für bare Münze nehmen, was im Web steht

Nachtrag: Habe versucht, Ostereier mit Walnuss-Schalen braun zu färben und orange mit Mohrrüben. Hatte aber nur braune Eier zuhause. Wie blöd kann man eigentlich sein? Mal meine Mutter fragen, die hat darauf garantiert eine Antwort.

Wieso glaube ich nur immer alles, das im Internet steht?

Wollte heute Nacht gegen 23:00 Uhr aus Langeweile Klamotten bestellen, kenne aber meine aktuelle Größe nicht, was daran liegt, dass ich sie nicht wissen will.
Auf meiner Waage liegt tatsächlich Staub. Hab ein Beweisfoto gemacht.

Tag 23
Werde heute sämtliche Vitamine absetzen. Seit ich ein paar weggelassen hab, ist mir nicht mehr so schlecht. Hab alle 124 Lesezeichen über Corona vom Handy entfernt, weil jeder Nachricht eine folgt, die genau das Gegenteil vom vorigen Artikel besagt.
Ich lass mich künftig überraschen.

Videotelefonie: DAS Tool im Lockdown!

Meine Mutter hat seit neuestem Whats App und schickt mir pausenlos unscharfe Bilder von ihren selbstgestrickten Socken. Find ich gut, dass sie in der Neuzeit angekommen ist.

Nachtrag: Sie hat mich eben über Facetime angerufen. Seit wann weiß die was über Video-Telefonie? Jetzt kann sie auch noch digital an mir rumnörgeln.

„Hast du zugenommen? Trägst du etwa eine Trainingshose? Und was ist mit deinen Haaren passiert? Du siehst aus wie ein Waldschrat.“

Beim nächsten Mal gehe ich nicht mehr ran. Die muss grade reden. Hat die keinen Spiegel? Aber ich hab mich nicht getraut, ihr das zu sagen.

Der Drang, unter Menschen zu gehen

„Kühlschrank ausräumen“ muss dringend auf die Liste. Ich könnte aber auch zuerst essen, was drin ist, und dann die Einlegeböden putzen. Oder ich kauf einen neuen Kühlschrank.

Tag 24:
Verspüre plötzlich den Drang, unter Menschen zu gehen, wie unheimlich ist das denn. Ich will Kässpatzen im Biergarten essen, während ich die Fliegen von mir weg wedle, mich im Kino anhusten und vor dem Wühlkorb bei Aldi anrempeln lassen. Ich will am Marktplatz sitzen und Eis essen, während mir ein Ball an den Kopf fliegt. Ich will einfach was dürfen. Sogar fernsehen langweilt mich mittlerweile. Hilfe!

An dieser Stelle enden meine rudimentären Aufzeichnungen, weil ich die Lust verloren habe. Die Beschränkungen sind zu einem Großteil wieder aufgehoben, und etwas wie Normalität ist draußen wieder eingekehrt.

Übergewicht als Lockdown-Souvenir

Ich wiege zwar immer noch zu viel, habe aber fünf Hosen gefunden, in die ich reinpasse. Mein Kühlschrank ist wieder sauber, und Nutella habe ich nicht mehr nachgekauft. Gefahr erkannt – Gefahr gebannt. Aus meinem Backblog ist nie was geworden, und ich nehme Vitamine jetzt in Form von Obst und Gemüse zu mir. Mit Sahne.

Meine Mama hat ein neues Hobby: Sie erneuert täglich gefühlte zwanzig Mal ihren Whats-App-Status und ist dann sauer, wenn ich ihn nicht sofort kommentiere. Leider hat sie immer noch nicht rausgefunden, wie man scharfe Fotos macht.

Von einem neuen Knäuel Sockenwolle bis hin zu einem Teller ihres Gulasch sieht irgendwie alles gleich aus. Momentan fotografiert sie täglich ihren Fernseher ab und ich soll dann raten, was sie gerade anguckt. Habe aufgrund von Mamas mieser Bildtechnik neulich Maria Furtwängler mit Miss Marple verwechselt.

Gruß aus der Küche

Ich geh sie mal besuchen. Wenn ich Glück hab, erkennt sie mich nicht und hält mich für Angela Merkel. Dann krieg ich Kuchen. Hatte schon fünf Stunden keinen mehr.

Zum Abschied grüße ich Sie ganz herzlich aus meiner Küche. Die Waffeln sind alle, aber ich habe frische Eier hier. Vielleicht treffen wir uns ja in der Eisdiele am Marktplatz mal tatsächlich – die Welt ist so klein wie meine Lieblingsjeans. Mich können Sie dann garantiert nicht mehr übersehen.

Ihre

Barbara Edelmann

Bildnachweis: stock.adobe.com / adrian_ilie825

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