Wer die DDR noch bewusst miterlebt und dort seinerzeit Modezeitschriften gelesen hat, wird sie von Fotos her kennen: Renate Stephan. Das damalige DDR-Mannequin war Fotomodel für Zeitschriften, wie zum Beispiel die Sybille oder Modische Maschen (links im Bild) und spielte auch kleinere Rollen für das DDR-Fernsehen.
Zudem stand Renate Stephan auch für sehr bekannte Produkte im Mauerstaat vor der Kamera – unter anderem für Esda-Strumpfhosen. Junge Mädchen und Frauen, die in der DDR modelten, taten dies unter gänzlich anderen Bedingungen, als Models, die international arbeiteten. Im sozialistischen System ging es eher gemütlich zu, aber auch ziemlich reglementiert.
Modeln – in der DDR ein exotischer Job
Nichtsdestotrotz erlebte, wer damals im sozialistischen Deutschland diesem außergewöhnlichen Job nachging, eine aufregende Zeit. Wie diese sich gestaltete – damit haben wir mit Renate Stephan (im Bild unten links) gesprochen. Im Interview gibt sie spannende Einblicke über ihre Arbeit in der Werbefoto- und Modebranche in der untergegangen Republik.
FB: Frau Stephan, Sie sind in Leipzig entdeckt worden. Erzählen Sie doch mal, wie sich das genau zugetragen hat!
1965 arbeitete ich in den Ferien, wie viele meines Alters, in einem Geschäft für Haushaltwaren in der Hainstrasse. Günter Rössler und seine Frau sprachen mich an, ob ich Interesse hätte an Modefotografie. Ich war doch sehr erstaunt, da ich mir bewusst war, dass ich doch noch sehr kindlich aussah mit meinen 15 Jahren. Ich fühlte mich sehr dünn und unansehnlich, vermutlich genau das Richtige – ein unbeschriebenes Blatt… Somit kam ich in die Modeszene der 60ziger Jahre in der DDR, die doch noch sehr überschaubar war.
FB: Wie sahen Ihre ersten Aufträge aus?
Ich bin jedes 2. Wochenende nach Berlin gefahren. Es wurden gleich Titel für die Sibylle (unten links im Bild) und für die Modischen Maschen gemacht. Außerdem Fotos für den Brühlkalender. 1966 fuhren wir nach Budapest für eine große Fotosession (so nannte man das damals aber noch nicht). Alles sehr aufregend.
Dazumal als Model oft erkannt
Dann wurden überlebensgroße Aufnahmen für das ehemalige Brühl-Konsument-Kaufhaus und diverse Aufnahmen in historischen Kostümen für den “Barthels Hof“ gemacht. Es war eine Zeit, von 1965 bis 1971, in der ich in Leipzig sehr oft erkannt und angesprochen wurde.
FB: In Sachen Ausbildung ging es erstmal ganz unglamourös zu – Sie besuchten die Berufsschule, um den Abschluss der Gärtnerin mit Abitur zu erwerben. Wie gestaltete sich das Ganze?
Ja, es war eine Berufsschule für Landwirtschaft- und Gärtnerei, in meinem Fall mit Abiturabschluss. Leider konnte ich in diese Schule nicht lange gehen. Am 10.12.1967 in Berlin, wurde ich am Bahnhof Karlshorst von dem Fotografen und einem weiteren Model für einen Auftrag abgeholt. Winter, Schnee, vertiefte Straßenbahnschienen – der Wartburg blieb in den Schienen hängen, dann wurden wir rausgeschleudert, niemand war angeschnallt und so rasten wir auf einen hölzernen Laternenmast zu…. an meinem linken Knie hatte ich einen komplizierten Patellatrümmerbruch und rechts eine große Fleischwunde im Knie… danach lag ich bis Ende April 1968 im Krankenhaus. Alle anderen sind mit einer Gehirnerschütterung davongekommen.
Was tun nach so einer langen Auszeit?
Auf Grund der Behinderung, die ich noch ziemlich lange nach meiner Entlassung hatte, wurde ein Aufhebungsvertrag vereinbart. Damit ich aber doch noch zu meinem Abitur kam, meldete ich mich in der Volkshochschule an. In der Zeit hatte ich vor, einmal Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst zu studieren.
Mal ganz nebenbei: 1968 war ein spannendes Jahr – da wurde die Universitätskirche gesprengt und viele Schüler und Studenten streikten dagegen. Die flogen dann meistens auch von ihren Schulen und landeten später in unserer Klasse.
FB: Im Gegensatz zum internationalen Parkett gab es in den 60igern nur wenige Mädchen und junge Frauen, die als Model arbeiteten. Wie sah deren Arbeitsalltag aus und welche staatliche Stelle steuerte das Ganze dazumal?
In den 60ziger Jahren gab es vielleicht eine Handvoll „Mädchen“, die wenigsten arbeiteten hauptberuflich als Model. Für ein Titelbild, z.B. für die Sibylle oder für die Für Dich gab es 50 Mark, für ein Farbfoto 35 Mark und für ein schwarz/weiß Foto 25 Mark. Für Werbeaufnahmen (im Bild auf einem Foto für die Verpackung von Esda-Strumpfhosen) gab es schon mal 80 oder 100 Mark für ein Foto. Wir haben auch Aktaufnahmen gemacht, die vorwiegend im “Magazin“ erschienen. Das war ganz normal und hatte nicht pornografisches oder voyeuristisches an sich.
Als DDR-Model viel gereist
Wie schon gesagt, hatte ich in den ersten Jahren nur am Wochenende Zeit. 1971 lernte ich meinen Mann kennen. Für ihn, Regisseur bei der DEFA- Spielfilm, und auch schon in den 60ziger Jahren, habe ich in verschiedenen Filmen in kleinen Rollen mitspielen dürfen. Ab 1973 nahm ich 2 x im Jahr als Mannequin im Ringmessehaus zur Leipziger Messe für die Firma „VEB Trikotagen und Strümpfe“ und 2 x an der Binnenhandelsmesse, ebenfalls in Leipzig, teil. Mit dieser Firma habe ich viele Jahre 5 sozialistische Länder besuchen können, in denen für die dortigen Handelseinrichtungen Textilien aus der DDR verkauft wurden, die wir vorführen mussten.
Außerdem konnten wir jeweils auch eine glamouröse Modenschau entweder in den DDR- Botschaften oder auch im Kaufhaus GUM zeigen. Zum Beispiel tolle lange Abendkleider vom VEB Plauener Spitze. Mit vollem Erfolg! Nur dass niemand diese Kleider kaufen konnte, sie waren nur für den Export in das westliche Ausland bestimmt!
Übrigens musste man als Mannequin ca. ab Mitte der 70iger Jahre beim Modeinstitut einen “Berechtigungsschein“ machen.
1977 gründeten wir eine eigene Modenschaugruppe („Maschenhits“) mit den Modellen, die wir von unseren Firmen, für die wir die Modenschauen zur Messe liefen, erhielten.
Diese Firmen in Apolda und Mühlhausen fungierten auch als sogenannte Trägerbetriebe. Das heißt, sie erklärten sich bereit, uns zu kontrollieren…Was aber nie geschah…In der damaligen DDR entstanden dann immer mehr Modenschaugruppen, die dann auch vom Ministerium für Leichtindustrie nach einer Vorstellung und Prüfung eine Einstufung bekamen. In jedem Bezirk gab es eine Konzert- und Gastspieldirektion, die jeweils bestimmte Künstler und auch Modenschaugruppen betreuten. Wir tourten also durch die ganze Republik und führten unsere Modenschauen, mit Choreografien einstudiert, als Unterhaltungsprogramm vor.
Kaufen konnte man DDR-Mode meist nicht
Die Mode war nur zum Ansehen, nicht zum kaufen! Aber wir verdienten für DDR-Verhältnisse nicht schlecht. Pro Modenschau 125 Mark und manchmal, zum Frauentag, 7.Oktober, Silvester u. ä., konnten wir mehrere Modenschauen am Tag machen.
FB: 1971 haben Sie Ihren jetzigen Mann, den Regisseur Bernhard Stephan, kennengelernt. Welchen Einfluss hatte ihre Ehe auf Ihre weitere berufliche Laufbahn?
Auf meine berufliche Laufbahn hatte mein Mann keinen Einfluss. Er hat mich immer unterstützt und es gut gefunden, dass wir beide selbständig und selbstbewusst – jeder in seinem Metier – zufrieden waren. Dass ich hin und wieder in seinen Filmen eine kleine Rolle spielen durfte, war mehr ein Spaß.
FB: In der DDR gab es auch eine lebendige Werbeszene. Wie sah die aus und wofür wurden die Models eingesetzt?
Naja, eine lebendige Werbeszene kann man nicht sagen. Es gab “Tausend Teletips“ für die einige wenige selbsternannte Werbefilmer arbeiteten. Mehr schlecht als recht, eben mit den eingeschränkten Mitteln. Zuletzt gab es ja kaum etwas von den beworbenen Sachen zu kaufen. Dann wurde vor allem Kraut in allen Variationen schmackhaft gemacht….
FB: Wie viele andere Menschen auch, waren Sie zur Zeit der Wende euphorisch, im Hinblick auf die berufliche Zukunft Ihrer Formation. Wie sah die Realität dann für Sie und Ihre Mitstreiterinnen aus?
Die Euphorie betraf vor allem den Umstand, dass endlich etwas passiert, dass man aus der Lethargie rauskommt. Dabei lebten wir schon privilegiert – jeder Tag sah anders aus, unser Leben war schon recht abwechslungsreich. Im November ’89 habe ich mich schon mit Annoncen von Modeagenturen beschäftigt. Ich dachte, man könnte Modelle für unsere Show kaufen oder leihen.
Interesse an Modenschauen sank kurz nach der Wende
Bald war mir klar, dass das nicht so weiter geht. Die Betriebe wurden mit der Zeit abgewickelt und es bestand kein Interesse mehr, an Trallala-Modenschauen – jetzt konnte man alles kaufen.
Nun war sich jeder selbst der nächste. Ich habe mich bei den verschiedensten Firmen beworben, vor allem im Außendienst., ich wollte eine gewisse Selbstständigkeit. Genau davor hatten dann viele aus der ehemaligen DDR Angst.
In der Zwischenzeit habe ich Promotion gemacht, auf der Automesse AAA bei General Motors als Hostess gearbeitet und im Oktober 1990 bei einer hochwertigen Schmuckfirma im Außendienst angefangen. Das habe ich bis April 1993 gemacht. Dann war abzusehen, dass sich das für meine Firma nicht lohnt. In der ehemaligen DDR war der Bedarf an echtem Schmuck, an Gold, groß – aber nur an 333er Gold und nicht an 750er mit echten Brillanten….
Inzwischen hatte mein Mann Fuß gefasst und war damit in der westlichen Fernsehszene etabliert und ich konnte meinen Job, für den ich zeitweise 4000 km im Monat fahren musste, aufgeben.
FB: Heute führen Sie eine erfolgreiche Mode-Boutique in Frohnau. Diese hat eine klare Botschaft, auf Ihrer Homepage heißt es: „Wir stehen mitten im Leben, sind nicht mehr jung – aber jung geblieben. Dieses Gefühl verbindet uns mit den meisten unserer Kundinnen.“ Ist es diese Haltung, die den Erfolg Ihres Geschäftes begründet?
Es zeigt, dass wir sehr nah an der Kundin dran sind, nicht arrogant, jedoch verständnisvoll, beraten ehrlich und offen. Unsere Kundinnen wissen, wenn sie ohne einen Kauf das Geschäft verlassen, haben wir vollstes Verständnis, sie kommen wieder. Auch wenn wir überzeugt sind, dass die Kundin super aussieht in dem Teil (z.B. die Oversize Pullis), sie aber sich nicht damit identifizieren kann, dann raten wir ihr eher ab. Oft sind mehrere Kundinnen im Geschäft und alle beraten sich gegenseitig… das ist eine tolle Stimmung und macht Spaß.
FB: Wie schaut heute ein ganz normaler Arbeitstag für Sie aus?
Wenn ich im Geschäft bin, was normalerweise 3 x in der Woche ist, verlasse ich das Haus 8.30 Uhr und bin dann 9.30 Uhr im Geschäft. 10.00 Uhr wird geöffnet. Dann muss ich noch zur Bank und habe noch einige Vorbereitungen zu treffen.
Einst DDR-Model – jetzt erfolgreiche Unternehmerin
Montag und Donnerstag muss ich oft zum Steuerbüro, ins Modecenter, oder habe Order bei einer unserer Firmen ( zur Zeit habe ich Ware von 14 Firmen und jede Firma hat pro Saison 2-3 Ordertermine, es sind relativ viele Firmen für meinen kleinen Laden, aber ich picke mir immer nur die Highlights raus…).
2 x im Jahr finden die Modemessen und die Fashion Week in Berlin statt. In diesen 4 Tagen bin ich auch immer unterwegs. Informiere mich und bin auf Suche nach neuen Sachen, die man noch nicht im Schrank hat. Mein beruflicher Alltag ist sehr abwechslungsreich.
FB: Haben Sie noch Kontakt zu den damaligen Kolleginnen – aus der DDR-Zeit?
Ja, mit 4 “Mädels“ sehr eng – wir fahren einmal im Jahr für eine Woche weg, z.B. nach Kroatien…
Mit vielen anderen halten wir locker Kontakt und freuen uns immer, wenn wir uns wiedersehen – das ist dann immer wie Klassentreffen…
FB: Verfolgen Sie das heutige Geschehen in der nationalen und internationalen Model-Szene?
Natürlich. Aber heute würde ich nicht mehr Model sein wollen. Würde auch meine Tochter, wenn ich nun eine hätte, nicht in diesem Zirkus verbraten wissen. Vielleicht nebenbei, um schöne Fotos und Erinnerungen für später zu haben….
Modelgeschäft früher war nicht so knallhart
Das Modelgeschäft ist knallhart, da haben wir richtig gemütlich gelebt und viel Spaß gehabt – es war Hobby und Job in einem.
Sehr oft gefällt mir auch die vorgeschlagene Mode – zum Beispiel in der InStyle – nicht. Da frage ich mich, wer soll das tragen? Ein Kuddelmuddel – wenn ich das sagen darf. Es ist alles erlaubt, oft sehr nuttig, oft kein Stilbewusstsein ! ich bin auch für lässig, lustig, bunt, sportlich… meinen Stil würde ich mit sportlich-elegant bezeichnen. Heute gehe ich jünger gekleidet als in den 90zigern. Damals mit Kostümchen, hohen Schuhen, schwarzen Anzügen… Schick, aber langweilig…
Übrigens haben wir einen Sohn, der in diesem Jahr 40 wird und Oberarzt für diabetische Fußchirurgie ist. Also Unfallchirurg und Orthopäde und wir haben 3 süße Enkel – dass muss ich als stolze Mutter und Oma mal sagen.
Wer sich für das Thema DDR-Modefotografie interessiert – bis Juli 2018 läuft hierzu in Berlin eine Ausstellung.
Bildnachweise: privat