Samstag, 27. Juli, 2024

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Wenn der Partner alkoholabhängig ist – Gastartikel von Expertin Marion Peisert

Oftmals ist es nur ein leiser Schatten, der sich unaufhaltsam über das Leben breitet, und doch wird er oft im Dunkeln gehalten – die Alkoholsucht eines Partners. Unter dem verhängnisvollen Deckmantel des Schweigens kann diese Sucht unbemerkt voranschreiten und das Leben der Betroffenen immer mehr in einen Strudel aus Verzweiflung und Abhängigkeit ziehen. In den meisten Fällen sind es Frauen, die Unzumutbares schweigend hinnehmen, um nicht weiteren Stress zu verursachen, die klein beigeben, sich schämen oder gar schuldig fühlen. Sie glauben, die Familie zusammenhalten zu müssen, koste es, was es wolle – auch wenn der Partner schon stark alkoholabhängig ist.

Wie soll es weitergehen, wenn der Partner alkoholabhängig ist?

Für diese Frauen ist es an der Zeit, Mut zu schöpfen und ihr eigenes Leben zurückzugewinnen. Sie haben ein Recht auf Gesundheit, persönliches Glück und die Fähigkeit, klare Grenzen zu setzen. Es ist von entscheidender Bedeutung, die Verantwortung für den Alkoholkonsum des Partners zurückzugeben und aus der co-abhängigen Rolle auszubrechen. Denn manchmal gibt es einfach keinen anderen Ausweg mehr.

Ich, Marion Peisert, kenne die Bitterkeit, die mit der Alkoholsucht in einer Beziehung einhergeht, aus eigener Erfahrung. Es hat Jahre gedauert, bis ich den Mut fand, mich aus dieser Beziehung zu befreien. Doch diese Erfahrung ist gleichzeitig mein Antrieb, andere Frauen zu ermutigen, denselben Schritt zu gehen. Ich weiß aus erster Hand, dass ein Neuanfang möglich ist und dass das Leben nach der Trennung noch so viel mehr zu bieten hat. Ich biete meinen Klientinnen eine umfassende Trennungsbegleitung an, wenn sie sich von ihrem alkoholabhängigen Partner lösen möchten, aber alleine nicht weiterkommen. Meine Unterstützung beinhaltet auch die Nachbegleitung, um das Erlebte aufzuarbeiten und sicherzustellen, dass meine Klientinnen nie wieder in eine Suchtbeziehung geraten, ohne es zu bemerken.

Beim Kennenlernen ist alles noch voller Geigen

In diesem Zusammenhang möchte ich Ihnen einige Beispiele skizzieren. Stellen wir uns eine Frau vor: Anne, 35 Jahre, attraktiv, herzlich und empathisch. 

Anne ist schon länger Single und wünscht sich nichts sehnlicher als eine Beziehung und Familie. Sie hat sich nach ein paar gescheiterten Beziehungen als Single nie so richtig wohlgefühlt. Ist eher der Beziehungstyp und vermisst die Zweisamkeit und das Füreinander-Dasein.

Das ist ihre Geschichte: 

Woche 1: 

Anne lernt einen sympathischen, jungen Mann kennen. Sie flirten unbeschwert miteinander. Anne spürt, wie die Hoffnung wieder geweckt wird in ihr. Sie kann es noch nicht glauben, aber vielleicht gibt es auch für sie so etwas wie persönliches Glück.

Woche 2: 

Die beiden haben ihr erstes Date. Sie sind zum Abendessen in einem Restaurant verabredet. Anne fühlt sich wie ein junges Mädchen. Sie ist aufgeregt, sieht bezaubernd aus und ist gespannt auf das, was da kommt.

Der Abend ist einfach nur schön. 

Anne merkt schon, dass ihr neuer Bekannter nach dem 2. Glas Wein noch ein drittes, viertes, fünftes bestellt. Aber sicher ist er genauso aufgeregt wie sie und versucht das dadurch zu verbergen.

Woche 3:

Anne ist zu einer Party eingeladen. Es ist Sommer und die Party findet im Freien statt. In einem romantischen Biergarten im Grünen, mit bunten Lampions und Blumen und Kerzen auf den Tischen.

Vorsicht, wenn erste Ausraster auftauchen

Ihr neuer Freund hat schon eine Bierfahne, als er ankommt. Nach kurzer Zeit ist er betrunken und wird laut, ausfallend und beleidigend. Er legt sich mit ihren anderen Freunden an und beachtet sie nicht mehr. Anne fühlt sich unwohl und alleingelassen.

Woche 4:

Am nächsten Tag sucht Anne das Gespräch mit ihrem neuen Freund. Sie ist enttäuscht von seinem Verhalten auf der Party. Fragt ihn, ob er ein Alkoholproblem hat. Er streitet es ab.

Woche 5:

Anne wird versetzt. Die beiden wollten sich zum Gassigehen mit ihren Hunden treffen. Anne fragt sich, was passiert ist und ruft ihn an. Er bittet sie, zu ihm nach Hause zu kommen. Es ginge ihm sehr schlecht. Anne macht sich sofort auf den  Weg. Als er die Wohnungstür öffnet, fällt es ihr wie Schuppen von den Augen: Sie sieht leere Bierkästen, halbvolle Schnapsflaschen, Essensreste, in der Wohnung verteilter Müll, Hundekot auf dem Fußboden.

Er sagt: “Hilfst du mir?” „Ja,” sagt sie. „Selbstverständlich. Wir schaffen das zusammen.“

Das hört sich gut an, fast zu gut. Wow, was für eine Frau! Sie steht ihrem Partner auch dann noch zur Seite, wenn sie sein Alkoholproblem erkennt.

Schwieriger Beziehungsalltag mit einem alkoholabhängigen Partner

Vermutlich weiß die Frau noch gar nicht, worauf sie sich einlässt. Was könnte denn alles auf sie zukommen? Die Liste ist lang. Hier sind einige Beispiele:

  • Abrupte Stimmungsschwankungen des Partners, 
  • plötzliche Wutausbrüche, 
  • unberechenbares Verhalten, 
  • Beleidigungen und Abwertungen, 
  • Unzuverlässigkeit im Alltag
  • emotionale und/oder körperliche Gewalt

Für tausende Frauen ist es normal, dass ihr Mann einen über den Durst trinkt. Ein Mann macht das nun mal. Alle machen es. Auch sie trinkt ab und zu ihr Weinchen. Doch der Übergang vom problematischen Alkoholkonsum zur Alkoholabhängigkeit verläuft schleichend und über eine längere Zeit.

Alkoholkonsum: In der Gesellschaft anerkannt

In Deutschland ist es selbstverständlich, Alkohol zu trinken. Alkohol ist ein vermeintliches Kulturgut und gesellschaftlich stark akzeptiert. Wer nicht trinkt, wird oft gefragt, warum das so ist: Schwanger? Religiös? Oder fährst du heute noch? 

Es ist so normal, Alkohol zu trinken, dass wir dabei vergessen, dass es eine – wenn auch legale – Droge ist. Im DHS Jahrbuch Sucht 2023 heißt es, dass 7,9 Millionen Menschen in Deutschland riskanten Alkoholkonsum betreiben. Das heißt, fast jeder 10. Erwachsene konsumiert Alkohol täglich und damit in gesundheitlich riskanter Weise.

Was in den Medien sehr oft nur am Rande erwähnt wird: 

Die Auswirkungen betreffen nicht nur die alkoholsüchtige Person selbst, sondern auch die Angehörigen. Partnerinnen, Ehefrauen, Freundinnen.  Je länger sie in einer Suchtbeziehung mit einem Alkoholabhängigen bleiben, desto stärker sind auch sie gesundheitlich beeinträchtigt – seelisch wie körperlich. Ein Burnout, Depressionen oder Herzbeschwerden können die Folge sein.

Oftmals leiden Frauen still

Sie leiden oft still in ihren eigenen vier Wänden. In der Familie ein Alkoholproblem zu haben, gibt man nicht gerne zu. Vor sich selbst nicht und erst recht nicht vor  anderen. Unter dem Deckmantel des Schweigens kann die Alkoholsucht daher ungehindert voranschreiten. In den meisten Fällen sind es Frauen, die noch immer den Mund halten, klein beigeben, sich schämen oder gar schuldig fühlen. Und die noch immer glauben, die Familie zusammenhalten zu müssen, koste es was es wolle.

In der Hoffnung, dem Partner zu helfen, bleiben sie in ihrer co-abhängigen Rolle gefangen und schaffen es nicht, sich zu trennen. Dabei wäre es so wichtig, dem Partner die Verantwortung für seinen Alkoholkonsum zurückzugeben.

Diesen Frauen will ich Mut machen. Sie haben auch ein Recht auf ein eigenes Leben. Sie dürfen ihre Gesundheit, ihr persönliches Glück ernst nehmen und Grenzen setzen. Es ist so wichtig, dass sie es schaffen, sich aus einer dysfunktionalen Suchtbeziehung zu lösen. Denn manchmal gibt es einfach keinen anderen Ausweg mehr.

Ein Neuanfang ist möglich

Damit tun sie auch etwas dafür, dass ihre Kinder besser und glücklicher aufwachsen und Alkoholismus in der nächsten Generation an Bedeutung verliert.

Leider habe ich selbst eine bittere Erfahrung mit Alkoholsucht in der Beziehung machen müssen. Erst nach Jahren gelang es mir, mich aus dieser Beziehung zu befreien. Mein eigenes Schicksal ist gleichzeitig mein großer Antrieb, jetzt andere Frauen zu ermutigen diesen Schritt zu gehen.

Denn ich habe selbst erfahren, dass ein Neuanfang möglich ist. Und dass unser Leben noch so viel mehr bereithält, wenn nach der Trennung wieder neue Energien frei werden. Ich werde nie vergessen, als mein heute erwachsener Sohn zu mir sagte: „Mama, du bist heute eine ganz andere Frau.“

Mit meiner Trennungsbegleitung für Frauen, die sich von ihrem alkoholabhängigen Partner trennen wollen, biete ich auch im Nachgang eine Begleitung an, so dass das Erlebte aufgearbeitet werden kann. So ist man gerüstet für eine neue Partnerschaft und erkennt im Fall des Falles alarmierende Signale sofort. 

Wünschen wir Anne, dass sie rechtzeitig Grenzen setzt und in ihrem großen Wunsch dem Partner zu helfen, nicht ihr eigenes Leben verliert.

Ihre Marion Peisert

Psychologische Beraterin/Personal Coach

Marion PeisertZur Person:

Gastautorin Marion Peisert ist Psychologische Beraterin/Personal Coach und zertifiziert als Empathischer Online-Coach. Sie praktiziert in Frankfurt/Main. 

 

 

 

Bildnachweise / Copyrights:

Marion Peisert

stock.adobe.com / Syda Productions

 

 

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