Samstag, 27. Juli, 2024

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Der Geldzauber – oder: Wie ich einmal reich werden wollte

Vor langer Zeit, in der Ära ohne Internet, Google, Amazon oder Netflix, hatte ich einen wirklich guten Freund. Er hieß Eric, war hochintelligent, sehr belesen, hilfsbereit und großzügig, aber etwas träge, meistens arbeitslos und demzufolge ständig pleite, denn er glaubte, dass einem ein Job nur das Leben kaputtmacht.

Eines Tages rief er mich an und erzählte in verschwörerischem Ton, er hätte ein Buch über schwarze Magie geschenkt bekommen. Es enthielte angeblich einen  wirkungsvollen Geldzauber, den er unbedingt ausprobieren wollte.

Leider fehlten ihm aber die Mittel zur Vorbereitung und Durchführung des Rituals, denn er war wie immer pleite.

Ich hatte gerade Urlaub und war in bester Laune, also stimmte ich zu. Immerhin war ein Geldzauber-Ritual mal was anderes als das einfallslose Grillen von Würstchen oder ein Besuch im Freibad.

„Du musst aber mitmachen“ bat er. „Sonst wird das nix und du sitzt nur dabei und lachst dir einen ab.“

„Also gut“ antwortete ich seufzend. „Was brauchen wir dafür?“

„Styrax-Öl“ antwortete er zögernd. „Grüne Kerzen, rotes Seidenband, Geldscheine zum Verbrennen und Gänseblümchen.“

„Geld zum Verbrennen?“ rief ich entsetzt.

„Wir nehmen Dollar“ beruhigte Eric mich. „Oder Lire. Die kosten nicht viel. Kannst du da was besorgen?“ „Also gut“ gab ich nach. „Aber da du in der Stadt wohnst, besorgst du dieses merkwürdige Styrax-Öl. Den Rest kaufe ich.“

Ein paar Tage darauf  kam Eric zu mir geradelt, im Gepäck das geheimnisvolle Öl, und jammerte erst mal, wie schwierig es gewesen sei, das zu besorgen.

Ich erinnere Sie nochmal daran, dass es kein Internet gab. Er hatte von einer Apotheke in die nächste radeln müssen, aber was tut man nicht alles für einen anständigen Geldzauber.

Mit Bedacht deponierten wir unsere Zutaten auf dem Tisch: Styrax-Öl, grüne Kerzen, 2 Dollarnoten, rotes Seidenband und…Tatsächlich. Es fehlten die Gänseblümchen.

„Kein Problem“ sagte ich optimistisch. „Wir gehen einfach in den Garten.“

Es dauerte zwei Stunden, bis wir ein Gänseblümchen fanden. Ich hatte nämlich frisch gemäht. Alle meine Nachbarn auch. Nicht mal auf der Wiese mit den Kühen fanden wir ein Gänseblümchen, sondern nur ein paar Brennnesseln.

Irgendwann hatten wir alles zusammen und führten das Ritual durch, wobei ich mich zusammenreißen musste, um nicht zu kichern. Also zog ich ein todernstes Gesicht und sagte nichts.

Wir banden die Seidenbänder um die Kerzen und entzündeten sie mit den zusammengerollten brennenden Dollarnoten. Was wir mit dem Styrax-Öl eingerieben haben, weiß ich nicht mehr. Dann ließen wir die grünen Kerzen abbrennen und grillten Würstchen. Es wurde noch ein netter Nachmittag.

Irgendwann radelte Eric nach Hause. Ich räumte den heruntergebrannten Kerzenstumpen weg und ging schlafen.

Eine Woche darauf rief ich Eric an und fragte, ob es schon erste Erfolge gäbe.

„Nicht wirklich“ nuschelte er enttäuscht.

„Ja hast du denn wenigstens Lotto gespielt?“ wollte ich wissen, dann man muss dem Glück ja eine Chance geben, und wenn sie auch nur bei 1:13 Millionen liegt. „Kein Geld für so was“ murmelte er.

Und so endet die Geschichte von Eric und seinem Geldzauber. Reich wurde er übrigens nie, er starb als Erwerbsminderungs-Rentner im Haus seiner Mutter mit 53 Jahren.

Ich hatte diese merkwürdige Geschichte beinahe schon wieder vergessen, als ich beim Stöbern auf der Amazon-Website auf ein paar vielversprechende Buchtitel stieß.

„Fühlen Sie sich einsam? Sind Sie auf der Suche nach dem Mann fürs Leben, nach einem guten Auskommen, ein wenig Luxus? Nach Gesundheit, Schönheit, weniger Falten, weniger Fett und vollerem Haar? Möchten Sie, dass sich Ihr gesamtes Leben zum Guten ändert? Möchten Sie morgens aufstehen, sich in Ihrer Traumwohnung umsehen, Ihre Kontoauszüge prüfen und erfreut sehen, dass sich der Kontostand über Nacht verdoppelt hat? Dann denken Sie positiv!“ stand da.

Das klang toll. Mehr Haare, weniger Fett, mehr Geld und deutlich weniger Ärger, wer wollte das nicht?

Ich fühlte mich angesprochen, vor allem, weil man, um wohlhabend, kerngesund und jugendlich zu werden keine Gymnastik machen, auf Berge steigen, spezielle Diäten durchhalten oder sich sonst irgendwie anstrengen musste.

Jeder von uns muss sich ja im Leben mal durch „haarige“ (die Chinesen nennen sie „interessante“) Zeiten quälten.

In so einer Situation befand ich mich auch.

Ich war so was von un-reich, un-geliebt, un-schön und un-jung, das kann ich gar nicht beschreiben. Jeden Tag passierte eine Katastrophe, wenn auch eine kleine, Rechnungen flatterten ins Haus wie Fruchtfliegen, alle Leute in meiner Umgebung schienen mich auf einmal nicht  mehr zu mögen, und ich fühlte mich täglich verdrossener, müder und ärmer.

Außerdem brach ich mir innerhalb von 4 Wochen je einen Zeh an jedem Fuß, prellte mir den Daumen und rannte an einen 300 Grad heißen Grill, was mir eine 10 Zentimeter lange Verbrennung einbrachte, von der ich den ganzen Abend über was hatte.

Es gibt solche Phasen.

Also holte ich mir sämtliche Bestseller und las sie. Alle.

„Unglaublich, bei mir hat sich alles zum Guten gewendet!“ schrieb ein Rezensent. „Ich habe meine große Liebe gefunden und bin befördert worden.“ „Ich bin wieder komplett gesund und verdiene jetzt mehr als je zuvor!“ schrieb der andere.

Ich kaufte mir wie besessen ein Buch nach dem anderen und probierte alles aus.

Die Autoren behaupteten nämlich, es sei nichts einfacher, als reicher, schöner und beliebter zu werden, wenn man es nur richtig anstellte.

Sollte es trotz der vollmundigen Versprechungen nicht klappen, dann machte man etwas grundlegend verkehrt. Auch das stand in allen Büchern.

Man hatte sich dann nicht genügend konzentriert, sich die Aura nicht abstauben lassen, zu viele negative Gedanken im Kopf oder was auch immer. Positives Denken musste her. Das hatte Millionen von Leuten geholfen und würde auch mich retten, davon war ich nach dem Lesen aller Klappentexte überzeugt.

Man soll ja immer klein anfangen, also beschloss ich, erst mal an meiner Ausstrahlung zu arbeiten. „Lächeln Sie, dann bekommen Sie ein Lächeln zurück!“ las ich erstaunt.

Ich durchstöberte mein Gedächtnis nach meinem freundlichsten Lächeln und begab mich, wie jeden Samstag, zu meinem Lieblingsdiscounter.

Und dann lächelte ich, als ich den ersten Einkaufswagen in die Hacken bekam, als mir die Dame am Wühlkorb ihren Ellbogen in die Seite rammte, beim Tritt auf meine Zehen, als sich jemand in der Kassenschlange vor mich stellte, und als ich den Laden vollgepackt verließ. Dann allerdings aus Erleichterung darüber, dass ich mit heiler Haut rausgekommen war.

Die konnten mich alle mal mit ihrem „Lächeln“. Die waren wohl noch nie am Samstagvormittag in dem Laden mit den 4 Buchstaben gewesen.

Der nächste Autor verlangte, dass ich ein Drehbuch schriebe, wie mein neues perfektes Leben auszusehen habe. Ich blieb bescheiden, setzte mich fiktiv in ein kleines schnuckeliges Häuschen, irgendwo am Ortsrand, mit einer einträglichen Kolumne, die mir ermöglichen würde, Geld zu verdienen, und ein paar Falten um den Mund herum weniger.

Das brachte nix.

Wiederum eine andere Dame schlug mir vor, kleine Beträge zu verschenken oder zu verteilen, damit große zurückkämen. Also schlich ich mich im Supermarkt zum Regal für Billig-Hundefutter und deponierte dort ein paar 5-Euro-Scheine zwischen den Dosen.

Dabei wurde ich vom Filialleiter erwischt, der den Vorgang falsch interpretierte und dachte, ich wolle klauen. Es kostete mich mein letztes übriggebliebenes Lächeln, um die Situation zu bereinigen. Aber der Typ schaut mich seitdem so merkwürdig an.

Zurück kam übrigens nichts, kein Geld, kein Gewinn. Nur eine Rechnung meines Steuerberaters über einen größeren Betrag fand ich am nächsten Tag im Briefkasten.

Da hatte mich das Universum wohl komplett falsch verstanden.

Wieder ein anderer Autor behauptete, das eigene Leben würde jeden Morgen wieder quasi „auf Null“ gesetzt und man könne dann immer wieder ganz von vorn anfangen. Leider musste ich feststellen, dass es nicht genügte, mein eigenes Leben auf Null zu setzen,  denn die Angestellten der Stadtwerke, die von der Sparkasse oder die von der Kreditkartenfirma taten das nämlich nicht.

Für die war ich jeden Morgen die Alte. Die schickten weiter Rechnungen.

Der nächste schwor auf Listen. Man schrieb Listen mit Dingen, die man gerne hätte, und man schrieb Listen, wofür man dankbar war. Die erste Liste war richtig lang, bei der zweiten tat ich mich irgendwie schwer. Genau ein einziges Mal konnte ich von der „Ich hätte gern“-Liste etwas streichen. Das war wohl eher Zufall.

An alle Ratschläge hielt ich mich aber eisern und machte verbissen weiter.

Ich visualisierte mein schönes neues Leben bis zum Erbrechen, versuchte, immer gut drauf zu sein, egal, wie mies es lief, und probierte, schlechte Gedanken erst gar nicht in meinen Kopf zu lassen, aber die waren wie hartnäckige Hausierer, die schon einen Fuß in der Tür hatten und ließen sich schlecht abwimmeln.

Und nachts versteckten sie sich in der Sockenschublade, da bin ich sicher. Ich habe sie kichern gehört.

Nach ungefähr 60 Büchern und unzähligen Versuchen konstatierte ich entmutigt: „Das war wohl nix.“

Es musste  definitiv an mir liegen. Zumindest da waren sich alle einig.

Mein vergiftetes Gedankengut, das mir den Tag vermieste, war schuld. Nicht die Heizölrechnungen über 3000 Euro, nicht die Autoreparaturen, die Querelen im Treppenhaus oder gebrochene Zehen, es war mein Kopf, dieses blöde alte Ding, das nicht kapieren wollte, wie einfach alles wäre, wenn ich es nur schaffen könnte, endlich mal richtig zu denken. Positiv.

Keine meiner Bestellungen beim Universum ist jemals ausgeführt worden. Mieser Service. Und überlastete Hotline vermutlich.

Als ich alles meiner Mutter erzählte, meine sie nur: „Schlimmer geht immer. Solltest du doch wissen.“ Dem konnte ich anhand meiner Erfahrungen nur beipflichten.

Immerhin habe ich wenigstens aus der ganzen Geschichte gelernt.

Mein Leben verläuft reibungsloser und angenehmer, wenn ich Dinge nehme, wie sie kommen und mir aus den paar glücklichen Momenten die herauspicke, an die ich mich später gerne erinnere.

Jeder von uns wird nämlich vom Universum gelegentlich gerupft, jeder kommt mal dran. Es liegt an uns selbst, wie wir damit umgehen. Mag sein, dass diese Bücher manchen Menschen geholfen haben, zumindest entnehme ich das den begeisterten Rezensionen.

Aber ich habe scheinbar auch dafür kein Talent, genauso wenig wie für Tomatenzucht, Handarbeiten oder Basteln.

Sagen wir es, wie es ist: Für positives Denken bin ich zu blöd. Da bringt mir auch kein Selbsthilfebuch was, nicht mal eins für Dummies.

Ich habe aufgehört, Geld hinter Tierfutterdosen im Supermarkt zu verstecken, weil ich mit dem zufrieden bin, was ich selbst im Geldbeutel habe. Ich habe aufgehört, gehetzte Menschen beim Discounter anzulächeln, weil die sonst denken, ich hätte einen Sprung in der Schüssel.

Ich habe aufgehört, Listen zu schreiben von Dingen, die ich gern hätte und erfreue mich stattdessen an Dingen, die ich HABE. Und das sind auch nicht wenige.

Und wenn ich im Leben nie wohlhabend werde, na und? Ich glaube, so richtig reich zu sein ist ganz schön langweilig und anstrengend, weil man nie denkt, dass man genug Geld hat. Außerdem wären meine ganzen kleinen Wünsche wie eine echte „Kitchenaid Artisan“ dann Makulatur, und ich könnte nicht mehr von ihnen träumen.

Faltenlos zu sein könnte ich hinkriegen, mit ein wenig Botox oder einem chirurgischen Eingriff, aber warum? Mein Mann mag mich, wie ich bin, ich muss nur lernen, mich selbst auch so zu mögen.

DEN Kampf werde ich ohnehin letztendlich verlieren, denn ich habe den fiesesten Gegner, den es gibt: die Zeit, dieses gemeine Luder.

Und zu guter Letzt: Geliebt werden oder den Menschen fürs Leben finden wollen wir doch alle. Vielleicht haben wir ihn ja schon und es einfach nicht gemerkt? Vielleicht wohnt er nebenan, mit Bart, Bauch und Brille, aber wir haben nicht gründlich genug hingesehen?

Dieses Leben ist ein Wunder, jeden Moment wieder aufs Neue. So habe ich es erleben dürfen.

Ich denke, der Schlüssel zu einem guten Leben ist Zufriedenheit. Auch wenn Rechnungen eintrudeln, wenn es mal mies läuft, man vom Liebeskummer gebeutelt ist oder der Boss sich wieder benimmt wie Stromberg persönlich.

Ich kann Ihnen aufgrund meiner Lebenserfahrung heute sagen: Das Pendel schwingt immer, wirklich immer, auch zur anderen Seite. So wie es bergab geht, geht es wieder bergauf. Da brauchen Sie kein Buch dazu, nur Durchhaltevermögen. Das schaffen Sie.

Oder kaufen Sie sich eines der Bücher und probieren Sie das aus mit dem positiven Denken. Erzählen Sie mir dann, wie es gelaufen ist. Aber warten Sie damit, bis ich mal gerade nicht verletzt oder verbunden bin, dann tue ich mir mit dem Zuhören leichter.

Ich wünsche Ihnen ein herrliches Wochenende. Bleiben Sie dankbar!

Ihre Barbara Edelmann

Bildnachweis: pexels.com

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