Samstag, 23. November, 2024

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“Auf einmal standen Kunstinteressierte bei uns zu Hause” – Künstlerin Alina Sellig über ihre Passion

Wie viele Menschen träumen davon, so zu leben, wie sie es sich wünschen? Und wie viele Coaches verkaufen tagtäglich nichts anderes als die Motivation für “Lebe Deinen Traum!”?

Der Wunsch, sich im Leben mit DEM zu beschäftigen, was einem wirklich Freude bringt, dürfte landesweit bei Millionen von Leuten vorhanden sein. Dass man an seiner Vision dranbleiben soll, auch wenn das Leben erst einmal andere Wege vorsieht, zeigen etliche Beispiele aus der Welt der Promis. So mancher Kfz-Mechaniker stürmte später die Charts und Frauen wie Nena oder Andrea Berg wandelten vor ihren Karrieren auf ganz normalen Berufspfaden.

Dass es auch vielen bodenständigen Leuten “von nebenan” gelingt, den Lebensunterhalt mit der eigenen Passion zu bestreiten und unabhängig zu leben, beweist die Künstlerin Alina Sellig (im Bild).

Die Malerei als Begleiter in Kinder- und Jugendjahren

Die dem Meer sehr verbundene Malerin schlug zunächst einen klassischen Karriereweg ein – mit Studium, Beruf und Auslandsaufenthalten. Dass sie sich heute in ihrer norddeutschen Heimat der Malerei widmen kann, liegt ein bißchen auch an ihrem Mann. Im Interview erzählt sie, was er mit dem Startschuss ihrer Künstlerkarriere zu tun hat, wie ihr Leben heute aussieht und wovon sie sich inspiriert fühlt.

FB: Frau Sellig, Sie haben als Kind schon sehr gerne gemalt, aber dann doch erst einmal beruflich eine andere Richtung eingeschlagen. Erzählen Sie doch mal!

Ich denke, das, was einem als Kind Freude bereitet, ist oft das, was einem wirklich liegt. Als Kinder haben meine Freundin und ich Muscheln bemalt und an der Promenade verkauft. Die Kunden waren begeistert von ihren Urlaubserinnerungen und haben oft das doppelte des Preises bezahlt. Das verdiente wurde dann in neue Buntstifte investiert.

Mit 10 Jahren hatten wir quasi ein florierendes Kunst Business…Die Malerei hat mich beim Heranwachsen immer begleitet. In der Grundschule belegte ich Aquarellkurse und war das einzige Kind zwischen Senioren. Zum 12. Geburtstag wünschte ich mir einen Kunstdruck von Kandinsky. Später, im Internat in Kanada, konnte ich mich richtig ausleben. Kunst wurde an dieser Schule groß geschrieben und gefördert. Mein Zimmer lag direkt über den Kreativräumen. Ich habe jede freie Minute dort verbracht und alles ausprobiert, was mir zwischen die Finger kam.

Eine Staffelei als Geschenk brachte alles ins Rollen

Dass man mit Kunst jedoch keinen Lebensunterhalt verdienen kann, wurde mir früh beigebracht. Und so startete ich in ein konventionelles Leben mit Studium, Beruf, verschiedenen Stationen im In- und Ausland fernab der Heimat, dann in die Selbstständigkeit. An die Malerei war nicht zu denken. Erst, als mein Mann mir eine Staffelei schenkte…

FB: Wie war das Zurückkommen in die Heimat für Sie?

Ich bin und bleibe ein Küstenkind. Je öfter, länger und weiter ich weg war, desto schöner war die Heimkehr. Ja – die Welt hat viele Meere, Seen und Flüsse. Aber die Ostsee ist besonders. Die Ostsee ist rau. Und wer die Ostsee wirklich mag, der mag sie auch bei jedem Wetter. Ich mag es, das Fenster aufzumachen oder rauszukommen und frische kalte Luft zu atmen. Luft, die wach macht. Und wenn der Wind durch die Haare pustet, dann fühle ich mich lebendig.

Nordische Lebensqualität wird tagtäglich geschätzt

Wir leben an der Schlei, einem Ostseefjord, inmitten von Kühen, Wiesen, Feldern und Wäldern. Hier zu leben fühlt sich für mich an wie ein Rosamunde Pilcher- oder Inga Lindström-Film. Auf Fähren oder Brücken unterwegs zu sein, mit dem Pferd durch sonnengelbe Rapsfelder oder am Hafen auf ein Fischbrötchen. Segeln oder paddeln gehen zu können, spontan, wenn die Sonne rauskommt… Noch mal kurz an den Strand eine Runde spazieren…Ich weiß die Lebensqualität im Norden wirklich sehr zu schätzen und lebe sie bewusst und jeden einzelnen Tag.

Die Uhren ticken hier natürlich langsamer. Es ist auch einsamer, denn nicht viele junge Leute entscheiden sich für die Heimat. Man muss mit sich allein sein können und ich denke, vor allem mit sich im reinen sein, denn es gibt hier keine Rundum-die-Uhr-Zerstreuung wie in der Großstadt.

Und auch jobtechnisch muss man sich umstellen. Wir haben uns die Arbeit in diesem Fall selber gemacht. Man muss kreativ werden, wenn man mit seiner bisherigen Karriere hier oben nicht weiter kommt. Aber wo ein Wille, da auch ein Weg.

Von der Großstadt schnell überfordert

Das Leben in der Großstadt bietet unheimlich viel und hin und wieder zieht es mich für einen Tag oder ein Wochenende dorthin. Dann habe ich immer einen Kulturschock an Eindrücken und auch Inspirationen. Dann muss ich alles erkunden und aufsaugen. Nach maximal 24 Stunden fühle mich von all den Menschen, dem Angebot und Konsum, dem Gruppenzwang, dem Tempo und vor allem der Luft überfordert.

Spätestens dann bin ich glücklich wieder an die Schlei zurück zu dürfen. Gerade in Zeiten von Corona werden meiner Meinung nach die Freiheiten, die wir auf dem Land haben, nochmal deutlicher.

FB: Was gab den Ausschlag, sich ganz Ihrer Leidenschaft – der Malerei – hinzugeben?

Mein Mann hatte ein Schlafzimmer-Bild entdeckt und es mit mir geteilt. Ich fand es wunderbar, und verkündete direkt: “Das mache ich.” Es juckte mich in den Fingern. Er sagte: “Du kannst malen?” und belächelte mein Vorhaben. Nach ein paar Stunden im Malwahn (so nenn ich den meditationsähnlichen Zustand, in dem ich Zeit und Raum verliere), war es vollbracht und mein Mann konnte seinen Augen kaum trauen.

Er schenkte mir eine Staffelei, damit ich mich austoben würde. Und genau das passierte. Das, was jahrelang unter der Oberfläche brodelte, sprudelte auf einmal nur so hervor und mit jedem fertigen Bild musste direkt eine neue Leinwand her, um alles auszuprobieren und zu Papier zu bringen, was sich in meinem Kopf an Ideen sammelte. Es war sehr befreiend.

“Sich Lebendig fühlen” beim Malen

Ich habe stets das Bedürfnis mich auszudrücken und Dinge zu teilen. Mein Mann nennt mich liebevoll sein Radio. Die Kunst gibt diesen Gedanken, Bildern und Emotionen ein Ventil. Ich fühle mich lebendig, wenn ich male; glückselig, wenn ich ein Ergebnis habe, das man anfassen kann. Ich habe etwas “festgehalten”.

Wenn ich male, dann bin ich zu 100 Prozent in meiner Komfort Zone und dieses Gefühl macht süchtig. Es macht selbstbewusster, freier und sogar gesünder. Wenn man durch und durch spüren kann, dass sich etwas richtig anfühlt und die Vorstellung daran einen nicht mehr loslässt, wie das Leben wäre, wenn man sich diesem etwas ganz widmen könnte, dann muss man den Mut aufbringen und es probieren.

Jeder hat sein Leben selbst in der Hand. Die Leute verlieren sich oft in Ausreden, wenn sie begründen, warum sie ihren Traum nicht leben. Das Leben ist kurz und ich möchte nicht irgendwann sagen, was wäre gewesen, wenn…

FB: Wo fanden Sie Ihre ersten Kunden?

Ich habe mich anfangs nicht getraut, die Bilder irgendjemandem zu zeigen oder gar zum Kauf anzubieten und malte eigentlich nur für mich selbst, Freunde und Familie. Relativ anonym startete ich dann einen online shop auf etsy.com, am Anfang nur mit Kinderbildern. So konnte ich quasi heimlich testen. Das funktionierte gut. Weil ich meine Originale nicht so gern hergebe, ließen wir auch Kunstdrucke anfertigen. Dann stellten wir auf einem Kunstmarkt auf einem Gutshof in der Region aus.

Die ersten Originale wurden im Vorbeigehen verkauft

Mein Mann ist zum Glück handwerklich sehr begabt, baute uns einen Marktstand und auch Bilderrahmen für verschiedene meiner Bilder. An diesem Wochenende wurde uns klar, dass das Ganze viel größer ist, als wir dachten. Die Besucher waren begeistert, schauten, kauften, beauftragten. Wir verkauften Originale im Vorbeigehen an begeisterten Kunden.

Das Feedback der Besucher war so positiv und die Emotionen, die meine Bilder bei diesen Menschen auslösten, wirklich bewegend. Jeder hatte etwas zu berichten, sah etwas, fühlte etwas. Und der Großteil waren keine Kunstkenner. Männer kauften zielstrebig Segelbilder und die Frauen fragten sich, was in sie geraten sei, dass ihre Männer Kunst shoppen und das Haus umdekorieren wollten.

Ältere Damen berichteten von ihren schönsten Zeiten am Strand und nahmen ein Bild als Erinnerung mit. Kinder reagierten direkt auf die explosiven Farben und Motive meiner Pool Bilder und kauften von ihrem Taschengeld Poster für ihr Kinderzimmer. Meine Bilder machten die Leute sichtbar glücklich und auch im Nachhinein erreichten uns Nachrichten, die wirklich rührend waren. Eine Kundin hatte extra den Esstisch umgestellt, damit sie beim Essen immer auf mein Bild schauen kann. Paare kauften sich online heimlich Geschenke für den Partner…Und damit war das Alina Sellig Art Studio geboren.

FB: Wo haben Sie Ihre Kunstwerke schon öffentlich ausgestellt?

Nach dem ersten Kunstmarkt ging alles relativ schnell. Etsy nahm internationale Dimensionen an und so schickten wir Drucke und Originale nach Texas, Spanien und Litauen. Wir bauten daraufhin einen eigenen Online Shop. Zeitgleich erhielt ich die Möglichkeit in der Galerie Deichstraße in Hamburg auszustellen. Wir nahmen an weiteren Kunstmärkten im Norden teil und auch der das Clubrestaurant des Arnisser Segel Clubs am Kappelner Hafen kam hinsichtlich einer Kooperation auf mich zu.

Diese Ausstellung sorgte neben vielen Kunden für Presse in den Lokalnachrichten. Auf einmal standen Kunstinteressierte bei uns zu Hause und wollten sich meine Bilder ansehen. Wir öffneten mein Atelier für Termine und es gibt jetzt auch ein offizielles Schild am Haus.

Mehr und mehr Präsenzen auf Ausstellungen

Ebenfalls über die Ausstellung im Restaurant kamen Kuratoren des Kunsthauses Kappeln auf mich zu, um einige Werke für die Ausstellung “Zum Meer” im Herbst diesen Jahres einzusetzen. Zeitgleich ermutigte mich eine Bekannte aus meiner Zeit in Kanada eine Bewerbung für eine Online Ausstellung “Art in Covid 19” einzureichen.

Diese Ausstellung über die CNAA und die One Art Gallery in Ontario verlief komplett online über das Medium wechat und brachte unter anderem den Auftrag eines Chinesischen Kunstsammlers ein. Dass meine Bilder online so gut funktionieren ist eine große Entlastung in diesen Zeiten. Und so geht es jetzt seit zwei Jahren von einem zum nächsten Abenteuer. Momentan befinden wir uns tatsächlich in der Planung einer eigenen Galerie.

Ich hätte das nie für möglich gehalten und bin jeden Tag dankbar dafür. Wenn man das tut, was man liebt, dann fügt sich der Rest von selbst.

FB: Das Meer ist sehr oft auf Ihren Bildern zu finden. Welche Beziehung haben Sie zu dem Gewässer?

Hier geht es mir wahrscheinlich wie vielen anderen auch. Am Meer verlieren all die vermeintlichen Sorgen oder Ängste an Bedeutung. Das Meer ist so groß und wir Menschen so klein. Die Weite setzt unsere weltlichen Probleme ins rechte Verhältnis, schafft eine neue Perspektive.

Geerdet durch das Meer

Wenn ich aufs Wasser schaue und einmal durchatme, dann wird in mir alles ganz ruhig. Ich fahre direkt runter. Und IM Wasser ist es, als würde ich ganz leicht und frei. Dann schwimme und schwimme ich und mit jedem Zug habe ich mehr Energie. Man ist fast schwerelos im Wasser und genauso verhält es sich mit den Gedanken. Auf einmal ist alles leicht und machbar. Ich komme vom oder aus dem Meer und bin geerdet, gestärkt, motiviert und inspiriert.

FB: Wo sammeln Sie Inspirationen für Ihre Bilder?

Eigentlich immer in der Natur. Am oder im Wasser, beim Spazierengehen, Segeln oder ausreiten. Wenn ich etwas Schönes sehe, male ich ein Bild im Kopf. Das sind oft Naturszenen oder Tiere, die Auslage beim Fischmarkt oder auch Menschen, denen ich begegne, ein schöner Hut oder eine tolle Perspektive auf alltägliche Dinge.

Und wenn ich ein Motiv im Kopf gemalt sehen kann, dann mache ich meist Fotos und Notizen. Entsprechend meiner Begeisterungsfähigkeit für kleine schöne Dinge oder Momente habe ich noch so viele Projekte in der Pipeline und würde am liebsten alle gleichzeitig starten.

Ich bin von grund auf eher ungeduldig und bringe viel ohne Planung auf die Leinwand. Das hat oft Vorteile, wie ich feststelle, weil neue Dinge entstehen, die ich nicht geplant habe. Ein Malheur ist auf einmal eine neue Technik und ein gefühlvoller, aber misslungener Ansatz ein neues Motiv. Ich denke, an Ideen wird es die nächsten Jahre nicht mangeln. Mehr daran, dass ich nicht genug Hände habe, alles gleichzeitig auszuprobieren.

Weitere Informationen zu Alina Sellig und ihren Arbeiten finden Sie hier.

Bilder: Alina Sellig

 

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