Für den eigenen Not-, Pflege- oder Todesfall adäquat vorzusorgen, fällt den meisten Menschen schwer. Vielen bereitet allein der Gedanke an trockene Vollmachten und Vorsorge-Dokumente Magenschmerzen. Man schiebt das Thema “Notfallkonzept” vor allem auch deshalb gern von sich her, weil es mit Krankheit oder/und Tod zu tun hat.
Das eigene Notfallkonzept schiebt man gerne auf
Obwohl den meisten Leuten bewusst ist, dass man sich früher oder später damit auseinandersetzen sollte, wird Verdrängung in diesem Zusammenhang groß geschrieben.
Dabei rückte die Thematik vor einigen Jahren schlagartig in den Fokus der Öffentlichkeit. Nämlich als der Rennsportler Michael Schumacher verunglückte und ins Koma fiel. Das Beispiel der prominenten Formel-1-Ikone, die von jetzt auf gleich nichts mehr für sich entscheiden konnte, bringt auch die Generationenberaterin Birgit Clüsserath (im Bild) oft ins Spiel, wenn sie vor Publikum spricht.
Die Erwähnung des Prominenten und seines Schicksals sorgt nicht selten für einen “Aha”-Effekt bei den Zuhörern der Expertin, die ihre Kunden in Sachen Notfallvorsorge coacht und begleitet.
Im Interview mit uns erklärt sie, worauf es in Sachen Vorsorge für den Notfall oder/und das Alter ankommt und gibt einen detaillierten Einblick in ihre Arbeit.
FB: Frau Clüsserath, wie kamen Sie zur Generationenberatung?
Ich war fast 30 Jahre im Bankgeschäft tätig und somit gehört das Thema Vorsorge seit jeher zu meinem beruflichen Alltag. Dort stand allerdings die finanzielle Vorsorge im Mittelpunkt.
Hinsichtlich der privaten Notfallvorsorge gibt es wenig professionelle Unterstützung
Als dann in unserem privaten Umfeld Menschen schwer erkrankten und auch starben, waren wir auf einige Situationen nicht gut vorbereitet. Wir kannten die Wünsche unserer Angehörigen im Umgang mit Krankheit und Tod nur eingeschränkt, da in unseren Familien nicht offen darüber gesprochen wurde. Ich habe dann festgestellt, dass wir kein Einzelfall sind und es auch nur wenig professionelle Unterstützung gibt.
Da ich ohnehin seit 2010 selbständig als Coach und Beraterin tätig bin, habe ich mich zur IHK-geprüften Generationenberaterin qualifizieren lassen, um meinem Angebot einen neuen inhaltlichen Schwerpunkt zu geben.
FB: Wie sieht Ihre berufliche Tätigkeit im Detail aus?
Das ist sehr vielschichtig. Besonders wichtig ist mir, meinen Kunden zunächst einen umfassenden Überblick über die Möglichkeiten zur Notfallvorsorge zu geben, die einzelnen Bausteine verständlich zu beschreiben und voneinander abzugrenzen.
Konkrete Lebenssituation der Kunden spielt eine große Rolle
Wir sprechen insbesondere über Vorsorgevollmachten, Betreuung, Patientenverfügung, Zeit der Pflege, Regelungen für den Tod wie Testament oder Bestattungsvorsorge und den Notfallordner.
Dann schauen wir uns die konkrete Lebenssituation der Kunden an, zum Beispiel: Wie ist der Familienstand, gibt es Kinder und leben diese in der Nähe, wer sind weitere Vertrauenspersonen, wie ist die finanzielle Situation und das Wohnumfeld, welche Wünsche und Träume gibt es für die Zukunft, welche Vorsorgemaßnahmen wurden bereits getroffen, wie soll der Umgang mit Krankheit und dem eigenen Tod erfolgen?
Wenn meine Kunden hierauf Antworten gefunden haben – gerne nach Rücksprache mit ihren Familien – schnüren wir ein individuelles Notfallpaket, oft auch unter Einbindung entsprechender weiterer Experten wie Anwälte und Notare.
Zusammenarbeit mit Banken, Notaren und Anwälten
Wir optimieren in diesem Zusammenhang die Ablage, ich schaue mir auf Wunsch Verträge zu Finanzen und Versicherungen an oder stelle die Unterlagen für den Notfallordner zusammen. Ich begleite Kunden zu Terminen mit Behörden, Banken, Rechtsanwälten und Notaren und erledige bei Bedarf den entsprechenden Schriftverkehr.
Oft werde ich dann um Unterstützung gebeten, wenn der Notfall eingetreten ist. In dieser Situation sind die Angehörigen einer großen emotionalen Belastung ausgesetzt und können kaum einen klaren Gedanken fassen. Hier wird meine professionelle und einfühlsame Begleitung als besonders wertvoll und entlastend empfunden.
FB: Sie halten Vorträge zum Thema „Was passiert, wenn Ihnen etwas passiert?“ Wie reagieren die Besucher auf Ihre Ausführungen?
Der Titel lässt natürlich Bilder vor dem inneren Auge entstehen und diese Bilder sind oft nur schwer zu ertragen. Wer beschäftigt sich schon gerne mit dem Gedanken an Unfälle, Krankheit und Tod. Und ich mache auch bewusst, dass es jeden und in jedem Alter treffen kann – das ist anfänglich harte Kost.
Selbstbestimmung in Sachen Notfallkonzept ist vielen Menschen wichtig
Aber wenn die Zuhörer dann feststellen, dass es sich in erster Linie darum dreht, ihre Angehörigen von schwierigen Entscheidungen zu entlasten, indem sie rechtzeitig selber ihre persönlichen Wünsche und Vorstellungen regeln, wird dem Thema die Schwere genommen.
Ein Notfallkonzept hat auch viel mit Selbstbestimmung zu tun und das ist vielen Menschen enorm wichtig. Aus den Rückmeldungen höre ich regelmäßig, dass meine Vorträge aufgrund der vielen Beispiele aus der Praxis sehr alltagstauglich und gut verständlich sind und deshalb reagieren die Besucher insgesamt sehr positiv.
Daraus ergeben sich häufig Beratungstermine, in denen wir dann auf die persönlichen Anforderungen und Wünsche schauen und diese umsetzen. Und am Schluss überwiegt die Erleichterung, einen wichtigen verantwortungsvollen Schritt für die Familie und für sich selbst gegangen zu sein.
FB: Den meisten Menschen ist sehr bewusst, dass sie für den Notfall vorsorgen müssen, dennoch treffen sehr viele Leute kaum oder gar keine Vorsorge. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Ich erlebe zum einen immer wieder, dass Menschen von falschen Voraussetzungen ausgehen. Ein Beispiel:
„Aber ich habe doch Angehörige! Mein Mann/meine Frau oder meine Kinder werden sich doch um mich und meine Angelegenheiten kümmern?“
Selbstverständlich können die Angehörigen sich kümmern, wenn jemand wegen Unfall, Krankheit oder bei nachlassenden geistigen Kräften seine Angelegenheiten nicht mehr selbst regeln kann. Wenn aber rechtsverbindliche Erklärungen oder Entscheidungen gefragt sind, können weder der Ehepartner/die Ehepartnerin noch die Kinder gesetzlich vertreten.
Ist der Notfall einmal eingetreten, ist es für Regelungen oft zu spät
Im deutschen Recht haben Eltern nur gegenüber minderjährigen Kindern die Befugnis zur Entscheidung und Vertretung in allen Angelegenheiten. Für einen Volljährigen/eine Volljährige können hingegen die Angehörigen nur in zwei Fällen entscheiden oder Erklärungen abgeben: Entweder aufgrund einer rechtsgeschäftlichen Vollmacht oder wenn sie gerichtlich bestellte Betreuer sind.
Zum anderen ist es – wie bereits oben beschrieben – ein unangenehmes Thema, das immer wieder aufgeschoben wird. Ich sage gerne „…das kommt noch nach Keller-Aufräumen.“ Und ist der Notfall erst eingetreten, ist es oft zu spät, noch etwas zu regeln.
FB: Auf welche Situationen treffen Sie in Ihrem Arbeitsalltag?
Lebens- und auch Krisensituationen sind so unterschiedlich wie das Leben selbst. Vorrangig beschäftigen sich ältere Menschen mit der Notfallvorsorge, vielleicht weil die Themen Krankheit und Tod im Umfeld häufiger auftreten oder einem selbst näher kommen.
Für jedwede Familienform ist Notfallvorsorge ein Thema
Viele kinderlose Paare oder auch alleinstehende Menschen machen sich Gedanken darüber, wer eine Person ihres Vertrauens sein könnte und suchen praktische Unterstützung bei der Gestaltung Ihres Notfallkonzeptes.
Familien mit kleinen Kindern oder Alleinerziehende fragen danach, wie sie die Zukunft ihrer Kinder sichern könnten, wenn ihnen etwas passiert. Patchwork-Familien suchen Antworten auf die sinnvolle Verteilung von Vermögen, wenn es „deine Kinder, meine Kinder und ggf. unsere Kinder“ gibt.
Familien suchen nach guten und gerechten Lösungen für ihr Testament – gerade in Erbengemeinschaften kommt es leider häufig zu Streit und Unfrieden. Immobilienbesitzer denken über eine gute Aufteilung ihrer Objekte im Erbfall nach oder haben steuerliche Fragen. Wir binden weitere Experten wie Rechtsanwälte, Notare und Steuerberater ein, ich übernehme die Koordination und bleibe Ansprechpartnerin des Vertrauens.
FB: Welche Empfehlungen haben Sie für eine adäquate Vorsorge? Oder anders gesagt: Worüber sollte sich jeder, egal ob Single oder mit Familie, ganz gleich, ob jung oder alt, Gedanken machen?
Jeder sollte sich zunächst mit folgenden Fragen auseinandersetzen:
- Was wird, wenn ich auf die Hilfe anderer angewiesen bin?
- Wer soll für mich handeln und entscheiden?
- Was ist mit Blick auf evtl. minderjährige Kinder oder hilfsbedürftige Angehörige zu bedenken?
- Unter welchen Bedingungen möchte ich am Ende meines Lebens ggf. auf lebensverlängernde ärztliche Maßnahmen verzichten?
- Bin ich finanziell auf Zeiten der Pflege vorbereitet?
- Wie/an wen soll im Falle meines Todes mein Vermögen verteilt werden?
- Wo sind – auch für Dritte nachvollziehbar- meine wesentlichen Unterlagen und Regelungen zu finden?
Antworten geben eine Vorsorgevollmacht, ggf. eine Sorgerechtsverfügung, eine Patientenverfügung, Regelungen zur Pflege, ein Testament und ein Notfallordner – um nur die wesentlichen Bausteine eines Notfallkonzeptes zu nennen.
Auch für Selbständige und Unternehmer sind Notfallkonzepte wichtig
Selbständige und Unternehmer sollten sich die gleichen Fragen mit Blick auf ihre Firma stellen, auch hier gilt es, ein individuelles Notfallkonzept zu erstellen.
FB: In Ihrem beruflichen Alltag sind Sie oftmals mit vielen – auch traurigen – Schicksalen konfrontiert. Wie schalten Sie in Ihrer freien Zeit ab, gibt es Hobbys?
Da ich auch als psychologische Beraterin und Seelsorgerin ausgebildet bzw. tätig bin, habe ich frühzeitig gelernt, die persönlichen Schicksale meiner Klienten einfühlsam zu begleiten und zu unterstützen, aber möglichst nicht in mein Privatleben mitzunehmen.
Das gelingt auch überwiegend, trotzdem nutze ich regelmäßig Supervision und den freundschaftlichen Austausch mit anderen Kollegen und Kolleginnen. Ich meditiere und schöpfe viel Kraft aus meinem christlichen Glauben und aus einer tiefen Beziehung zu meiner Familie.
Mit Familie und Natur vom Berufsalltag entspannen
Dort komme ich zur Ruhe und bin ganz bei mir. Darüber hinaus bin ich ein „Draußen-Mensch“, ich liebe die Natur, unseren Garten und brauche regelmäßige Bewegung, um auf andere Gedanken zu kommen. Bei schlechtem Wetter stecke ich die Nase in ein Buch und höre Musik. Ich schreibe Gedichte und seit gut einem Jahr habe ich Klavierunterricht – ich lerne einfach immer wieder gerne Neues kennen, es gibt so viel Spannendes zu entdecken, auch auf Reisen.
Ich glaube, es ist diese Vielfalt und ein „gut auf mich achten“, die mir den Umgang auch mit traurigen Schicksalen gut möglich machen.
Weiterführende Informationen gibt es auf der Homepage von Birgit Clüsserath.
Bildnachweis: Birgit Clüsserath