Samstag, 27. Juli, 2024

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Ruf mich nicht an! Kolumne von Barbara Edelmann

Wann haben Sie das letzte Mal privat  telefoniert? Ich vor einer Woche. Kurzentschlossen wählte ich eine Nummer, und versehentlich nahm meine Gesprächspartnerin sogar ab, weil sie auf einen “bestellten” Anruf gewartet und nicht auf meine Nummer geachtet hatte. Reingefallen, ätsch. Sie hörte sich an, als würde sie eine Zitrone lutschen, und einen Moment lang war es mir peinlich, sie so „überfallen“ zu haben. Aber das ging vorbei.

Seinerzeit ratterte beim Telefonieren noch der Gebührenzähler

Eines meiner ersten Telefone hatte ein 10 Meter langes Kabel, das bis in die Badewanne reichte, denn ich plauderte gern im warmen Wasser mit Freunden. Als schnurlose Geräte konzipiert wurden, war ich sofort dabei. Endlich überall in der Wohnung telefonieren – mit einem Auge auf der Uhr, denn Gespräche wurden nach Minuten abgerechnet.

Erst Jahre später bot die Telekom günstigere Tarife für die Abendzeiten oder Wochenenden an. Ich juchzte vor Freude und verlegte Gespräche mit meinen Freundinnen („Was?? Heinz-Rüdiger ist schon wieder fremdgegangen?“) auf die Zeit vor dem Schlafengehen.

Selbstverständlich besaß ich auch eines der ersten Mobiltelefone in unserer kleinen Stadt – ein C-Netz-Gerät, so riesig, dass ich dafür einen eigenen Rucksack gebraucht hätte. Angerufen wurde ich aber nie, da zu teuer…

Meine Erinnerungen an das darauffolgende D-Netz und eine Vielzahl zerschrammter Nokia-Telefone beschränken sich auf hohe SMS-Gebühren und horrende Rechnungen am Ende des Monats, wenn ich wieder mal 200 – 300 Stück davon verschickt hatte, weil ich mir einredete, das sei billiger, als anzurufen. War es nicht.

Kleine Handys ganz groß!

An den Wochenenden nahmen wir stolz unsere Handys mit in die Stammkneipe und prahlten damit, wer das kleinste hatte. Was für eine unbeschwerte Zeit. Bis zum Jahre 2007.

Da stellte nämlich Steve Jobs das von seiner Firma Apple entwickelte erste Smartphone, das IPhone, vor. Niemand hätte damit gerechnet, dass dieses schwarze Ding mit den abgerundeten Kanten einen derart triumphalen weltumspannenden Siegeszug antreten würde. Heute wirken Filme oder Serien aus der „Prä-Smartphone-Ära“ auf mich wie aus der Zeit gefallen, und manchmal stelle ich mir vor, wie sich wohl Sprachnachrichten von  Kommissar Schimanski angehört hätten…

Das IPhone – es konnte beinahe alles, außer Kartoffelschälen. Nur telefonieren tat ich nicht damit, weil Handygespräche nicht billig waren. Als von Mobilfunkprovidern endlich Flatrates angeboten wurden, die Gespräche so günstig wie nie machten, konnte ich sparsame Allgäuerin endlich anrufen, wen immer ich wollte. Es wollte allerdings keiner (mehr) angerufen werden.

Telefonate werden heute oftmals als Zumutung angesehen

Tatsächlich hat es nur 14 Jahre gedauert, um Telefonate von einer Überraschung oder einem Zeitvertreib in eine Zumutung zu verwandeln.

Anstatt unbefangen zum Smartphone zu greifen, muss ich mittlerweile vorher per Messenger anfragen: „He, Süße, alles ok? Hab schon ewig nichts mehr von dir gehört. Wollen wir mal telefonieren?“

Die Antwort lautet meistens: „Geht so. Leider keine Zeit. Viel Stress. Und selbst?“ Bussi-Emoji. Ich.Hasse.Es.

Neulich las ich auf der social-media-Plattform “Twitter” eine Diskussion zwischen jungen Männern um die 30 mit:

„Leute, ich weiß nicht mehr weiter. Soll wegen meinem Vorstellungsgespräch bei so einem Typen anrufen und schiebe das seit drei Tagen vor mir her“, gestand einer. „Das macht mich voll fertig, ich bekomme Schweißausbrüche und Panikattacken. Ich kann das nicht.“

Dies ist ziemlich genau der originale Wortlaut, ich lüge Sie nicht an.

Telefonate nerven neuerdings

„Mir geht es ebenso“, schrieb ein anderer. „Die Leute verstehen einfach nicht, wie nervig das ist. Außerdem fällt mir nie ein, was ich sagen soll, erst wenn das Gespräch vorbei ist.“
„Der blanke Horror“, antwortete ein dritter. „Für mich gibt es nichts Schlimmeres. Puh, bin froh, dass ihr das genauso seht.“

Die Profile dieser drei Männer quollen über von Fotos, auf denen sie sportlich auf Berggipfeln posierten, auf Mountainbikes am Rande steiler Schluchten in weit entfernten Ländern radelten oder breit grinsend unter Gleitschirmen hingen.
Nichts von alledem hielten sie offenbar für so belastend oder riskant wie ein Gespräch am Telefon.

Tja, Jungs, no risk, no fun.

Was ist das für eine Welt, in der ein Gespräch Panikattacken oder vehementen Widerwillen auslöst? Was hat die Psyche der Generation Skype so verändert, dass sie ein Telefonat  in Alarmstimmung versetzt?

Lieber schreiben als reden

Es wird jetzt geschrieben statt geredet. Bei Whats App, Telegram, Signal, Viber und wie sie alle heißen. Wenn sich eine Kommunikationsform wie diese – zweifelsohne auch praktischen – Messengerdienste bei Millionen Menschen innerhalb weniger Jahre als neue Gewohnheit etabliert (mit mir im unfreiwilligen Schlepptau), betrachte ich das als konformistischen Zwang.

Ich habe keine andere Wahl, als mitzumachen, wenn ich nicht den Anschluss verlieren will. Da wartet man Jahrzehnte drauf, dass Telefonieren endlich erschwinglich wird, und dann entpuppt sich die schöne neue Welt als stummgeschalteter Alptraum und GIF-Hölle.

In letzter Zeit ist mir verstärkt aufgefallen, dass etliche Firmen in ihrem Impressum nicht einmal mehr eine Telefon-Nummer, sondern nur noch Email-Adressen angeben. So einfach kann man es sich machen.

Die soziale Interaktion wird beschnitten

Wir merken gar nicht, wie Stück für Stück die soziale Interaktion beschnitten wird, akzeptieren es unter dem Deckmantel der Modernisierung, Digitalisierung und Rationalisierung. Wer schlägt sich schon gerne mit aufgebrachten Kunden am Telefon herum? Sehen Sie?

Und wenn wir schon dabei sind: Ich mag keine Sprachnachrichten. Sie sind  merkwürdig unlogische  Auswüchse dieser herrlichen neuen Zeit. Wer mir solch ellenlange Ergüsse per Whats App schicken kann, der hat auch Zeit, kurz  anzurufen. Da sitze ich dann, lausche verdrossen den „Äh“ und „Öh“, versuche Hintergrundgeräusche, Hundegebell und Zwischenrufe (“Bieg doch endlich links ab!”) auszublenden und komme mir vor wie beim Diktat in der Schule. Eine Sprachnachricht zwingt  den Empfänger, ihr seine uneingeschränkte Aufmerksamkeit zu widmen.

Und sie werden mir vorwiegend von Leuten geschickt, für die ein richtiges Telefonat im echten Leben eine Zumutung zu sein scheint. Mit einer Sprachnachricht transportiere ich eine Stimme, aber keine Stimmung. Man wird los, was man loswerden möchte, ohne Widerspruch. Wie praktisch.

Sofortantwort bei Sprachnachrichten nicht nötig

„Die sind super!“, erklärte mir neulich eine junge Verwandte, mit der ich seit Jahren hauptsächlich mittels besagter Sprachnachrichten kommuniziere, weil sie diese laut eigener Aussage “im Auto auf dem Nachhauseweg von der Arbeit ganz prima nebenher verschickt”.
„Ich kann in aller Ruhe ein paar Stunden überlegen und muss nicht sofort antworten.”

Ganz abgesehen davon, dass ich mit meiner Einstufung auf ihrer Prioritätenliste als “nebenher” nicht unbedingt einverstanden bin, frage ich mich, wie es um unsere intellektuelle Kapazität bestellt ist, wenn wir über einer Antwort erst mal ewig brüten müssen. Spontanität scheint genauso aus der Mode gekommen wie Schulterpolster und saure Dauerwellen. Warum trauen wir uns das nicht mehr zu?

Holt mich hier raus. Bitte.

Es ist beklemmend, dieses langsame Sterben einer essentiellen Kommunikationsform – dem persönlichen Gespräch – hilflos beobachten zu müssen. Sogar meine Mutter mit ihren 85 Jahren besteht auf Voranmeldung via Whats App.

Die heutige Kommunikation gleicht einem sozialen Rückzug

Sollte ich sie dann tatsächlich mal ans Telefon kriegen, klingt sie so gehetzt, als müsse sie dringend weg und irgendwo eine brennende Ölquelle löschen.

Ich halte dieses Verhalten für eine Art sozialen Rückzug. Wenn Telefonate so viele Leute zu überfordern scheinen, dann läuft etwas schief in dieser Gesellschaft. Wir werden uns nämlich nicht ewig aus dem Weg gehen können.

Ist das wirklich alles, was Menschen heutzutage möchten? Bussis, Herzchen, Röschen und winzige bunte Blumensträuße in diversen Messenger-Apps? An Geburtstagen zusätzlich noch eine stilisierte Torte oder ein aus dem Internet heruntergeladenes Bildchen mit einer Kerze, wahlweise ein knallbuntes GIF?

„Ich habe keine Zeit für Gespräche“ wird als glaubhafter Grund akzeptiert. Das behaupten Schüler, Rentner, Hausfrauen und genervte Angestellte gleichermaßen. Sie benehmen sich, als wäre Telefonieren heutzutage etwas so Privates wie Sex oder Stuhlgang.

„Wir haben genau 20 Minuten“, erklärte mir Beatrix, eine Bekannte, neulich am Telefon. „Länger möchte ich nicht reden. Das strengt mich an.“ Es strengt sie an. Darüber denke ich besser erst gar nicht nach.

Welt, bleib draußen!

Die meisten Menschen, die ich kenne, behaupten, sie könnten schlecht „Nein“ sagen. Dabei sind sie wahre Meister im Abgrenzen von der unerwünschten Außenwelt. Und die „Außenwelt“ bin ich.

Kürzlich hatte mein Neffe üblen Liebeskummer. Sagenhafte drei Stunden schrieben wir auf Whats App hin und her, bis ich vorschlug: „Können wir telefonieren?“

Schwupp, war er offline und meldete sich nicht mehr. Als hätte ich gefragt: „Darf ich eine Darmspiegelung bei dir vornehmen? Geht auch ganz schnell!“

Es wirkt schon, das Digitale. Die schöne neue Welt. Bei jedem. Bei allen.

Tippen auf einem winzigen Display ist zum Ersatz für echten Trost geworden. Man kritzelt ja auch keine Notizen mehr auf die Rückseite von gebrauchten Briefumschlägen, sondern erstellt Screen-Shots mit dem Handy oder diktiert sie einer App, die das zerknitterte Stück Altpapier und den Magneten an der Pinnwand ersetzt.

Meine eigenen Notizen werden mir übrigens von meinem Homepod vorgelesen, den ich der Erbauung halber mit männlicher Stimme konfiguriert habe. Er heißt “Sirius”, schaltet auch meine Lampen ein und aus – und widerspricht nie. Wenigstens redet einer mit mir. Oder etwas.

Digitaler Kitsch an Feiertagen

Regelmäßig an Feiertagen quillt mein Smartphonespeicher über vor lauter  Zeichentrickfilmchen mit Schweinchen, Häschen und Kätzchen.

Wahnsinn, wie viele Leute glauben, dass ein zusammengestümperter Cartoon mit Untertiteln den Ansprüchen von jemandem genügt, der mit handgeschriebenen Briefen auf echtem Papier aufgewachsen ist.

Jedes Jahr vor Heiligabend wird es besonders schlimm. „Wish You a merry Christmas“, blinkt es auf meinem Display. Dazu ein paar stilisierte Notenblätter oder kitschige Engelchen, gerne animiert, und schon hat man wieder Porto gespart. Auch das mühselige Schreiben entfällt, genau wie die Briefmarke und Kontakt mit einem Postboten.

Bis Dezember 2019 habe ich mir noch die Mühe gemacht und meine Weihnachtskarten von Hand geschrieben. Über den Inhalt jeder einzelnen Karte habe ich nachgedacht. Ich habe die Dinger eingetütet, zugeklebt, adressiert und frankiert.

Resonanz? Die übliche Schwemme an Engelsbildchen und animierten Christbäumen am 24.12. Keine Sekunde früher. Weil ich in irgendeinem Verteiler stecke.

Abstand halten – die neue Philosophie in Sachen Kommunikation

Unsere Konversation, ja die gesamte Kommunikation, wird rudimentär.
Distanz ist das neue kleine Schwarze, andere auf Abstand zu halten eine Philosophie.

Ironie muss mittlerweile als solche gekennzeichnet werden, wenn man eine Nachricht schreibt. Wissen Sie, warum? Weil man es normalerweise an der Stimme hört, wenn jemand sarkastisch ist. Entfallen Tonlage oder Lachen, schleichen sich Irrtümer ein, irgendwer bekommt es garantiert in den falschen Hals, und die Beziehung ist im Eimer.

Ist der Whats-App-Gesprächspartner (welch eine Worthülse), dann erst mal so richtig sauer, dürfen Sie eine Menge tippen, um ihm zu erklären, wie Sie das eigentlich gemeint haben. Sie könnten allerdings auch anrufen…

Tabuzone bis ins Unendliche!

Offene, verräterische, von Mimik und Stimmlage abhängige Kommunikation verschwindet im Alltag, sie schrumpft in sich zusammen wie ein Ballon, der allmählich die Luft verliert. Und wer aufs Telefonieren angewiesen ist, wer zum Beispiel kein Smartphone besitzt geschweige denn einen Messenger, hat in Zeiten, in denen sogar jeder kleine Dorf-Kirchenchor digital vernetzt ist, schlechte Karten.

„Waaaas? Kein Whats App? Mann, bist du altmodisch.“

Wir alle haben diese ominöse, nicht messbare Tabuzone um uns herum, die je nach wissenschaftlicher Studie zwischen 30 Zentimeter bis zu eineinhalb Metern in unserem Radius umfasst und zum Teil sogar mit Instrumenten messbar ist. Kommt uns jemand zu nahe und überschreitet diese unsichtbare Grenze, dann fühlen wir uns unwohl.

Mit unserer Art der Verweigerung, mit dem Ablehnen von Telefongesprächen oder echtem Kontakt, dehnen wir die Tabuzone mittlerweile ins Unendliche aus. Sie können auch Ihren Kumpel in Thailand blockieren oder den in Australien. Ach was, Sie können die ganze Welt blockieren. Ist doch super, oder?

Ist das nicht merkwürdig? Wir haben mehr Möglichkeiten zur Kommunikation als je zuvor und nutzen immer weniger davon.

Wir sind einsamer als früher, vielleicht, weil wir uns bedrängt fühlen von dieser Erreichbarkeit rund um die Uhr. Jeder kann uns zu jeder Zeit anmailen, anschreiben, anrufen. Sich unsichtbar zu machen, ein paar Stunden auszuklinken aus dem alltäglichen Wahnsinn, erfordert ziemlichen Aufwand, denn nur das Telefon auszustecken wie früher funktioniert nicht mehr.

Überwachbar und erreichbar

„Hast du mich etwa blockiert?“
„Ich habe genau gesehen, dass du vorhin noch online warst. Wieso antwortest du nicht?“
„Du hast doch bei Facebook was gepostet um 21:20 Uhr. Aber auf meine SMS von 21:15 schreibst du nicht zurück.“

Überwachbar und rund um die Uhr erreichbar sind wir geworden – von allen und jedem. Und darum versuchen wir, etwas von dem freien Raum, von dem beruhigenden weißen Rauschen, zurückzubekommen, indem wir  Termine vergeben an Menschen, die uns nahekommen wollen. Oder zu nahe.

Wir machen dicht, schaffen es aber nicht, sämtliche Löcher zu stopfen, durch die irgendwelche Nachrichten, gute oder schlechte, kriechen. Dabei wollen wir doch gar nicht mehr alles wissen.

Es ist das Atemlose, das Schnelle, das Immer-auf-dem-Sprung-sein-Müssen der Neuzeit, von dem wir spüren, dass es sich wie Mehltau über jeden Bereich unseres Lebens legt, dass Dinge, die wir früher freiwillig und gern taten, zur Pflicht geworden sind. Nur ganz allmählich beginnen wir zu spüren, dass „freiwillig“ eine Option ist, die uns nicht zur Verfügung steht. Nicht mehr.

Offline als Luxus

„Offline ist das neue Detox“, las ich neulich. Offline zu sein – also „entgiftet“ – ist heutzutage ein Luxus, den sich immer mehr Leute gönnen, weil sie spüren, dass ihnen sogar die Kraft fehlt, sich auszuruhen. Man kann dem flächendeckenden Bombardement an Informationen und Forderungen, die an einen gestellt werden, nicht mehr entgehen, denn alle anderen sind ja immer noch online. Und sie warten auf den Moment, in dem man sich wieder einloggt.

Offline läuft man Gefahr, nicht zu erfahren, wann die nächste Chorprobe stattfindet oder den Geburtstagsgruß mit dem animierten Kätzchen zu verpassen. Wir müssen immer dabei sein. Auch wenn es nur virtuell ist. Sonst bleiben wir allein. Und sind es doch schon. Vage können wir das spüren, aber dieses Gefühl verdrängen wir. Es ist nämlich unangenehm.

Früher klingelte es oft unerwartet an meiner Tür. Jeder, der vorbeischaute, bekam etwas zu trinken angeboten. Dann setzte man sich auf die Couch und unterhielt sich. Es wurde gelacht, wir vereinbarten vielleicht ein Treffen oder schauten zusammen einen Film. Und das alles ganz ohne Voranmeldung.

Heutzutage ist es nicht mehr möglich, mit mehr als drei Leuten am Tisch zu sitzen, weil immer irgendeiner sein Smartphone zückt und sagt: „Schon gesehen? Meine Katze hat neulich Handstand gemacht.“ Und dann fuchteln sie einem mit dem Telefon vor dem Gesicht herum.

Bei den Älteren habe ich gelegentlich Glück, denn ohne ihre Lesebrillen können sie nicht in ihrer digitalen Fotosammlung wühlen. Wenigstens etwas. Dieses Ding – es ist ständig dabei, wie eine Art böser Herzschrittmacher, der uns aus dem Takt bringt, anstatt uns zu helfen.

Der Umgang mit Menschen ist selektiv geworden

Wir sind dabei, alles zu verlernen, das uns ausmacht.

Wir lassen uns gegenseitig allein, sind im Umgang mit Menschen selektiv geworden, koppeln uns ab von dem, das eine solidarische Gesellschaft auszeichnet. Wir sind dabei, asozial in des Wortes reinster Bedeutung zu werden.

Und dabei versuchen wir doch eigentlich nur, uns zu schützen, auch wenn uns das selbst vielleicht gar nicht  bewusst ist.

Dieses Leben huscht immer schneller an uns vorbei, denn anstatt es uns einfacher zu machen mit all den digitalen Vernetzungen und Verpflichtungen, treibt es uns vor sich her mit Bits und Bytes, mit blauen Häkchen und Anruflisten, mit roten Ziffern, die neue Nachrichten signalisieren. Abrufen, schnell, antworten, könnte was Wichtiges sein. Und wehe, der Akku ist leer.

Die Verweigerung von persönlichen Gesprächen ist eine Art von Flucht in eine nicht mehr existierende Komfortzone, gleich, wie man es dreht und wendet. Das Zeichen für einen hinter unserem Rücken stattgefundenen Paradigmenwechsel.

Dieses Leben frisst uns auf. Immer schneller, immer weiter, immer höher. Bis zum Absturz. Sie werden sich wundern wie still es dann plötzlich um Sie herum ist. Dass Sie nicht einmal mehr Lust haben, jemanden anzusimsen. Dass jede eingehende Whats-App-Nachricht mit dem Inhalt „Hallo, wie geht es dir“, oberflächlich scheint, und bedrohlich.

Emojis sind auch keine Lösung!

Weil nichts, wirklich gar nichts, eine Umarmung ersetzen kann, oder ein persönliches Gespräch. Es gibt einfach zu viele Probleme, die nicht mittels traurig blickender Emojis gelöst werden können.

„Wir telefonieren mal wieder“, ist mittlerweile eine geläufige Floskel und unhörbar schwingt mit: „wenn die Hölle zufriert“.

Was passiert mit uns? Warum sind wir so stumm geworden?

Wenn alles immer weiter verkürzt und vereinfacht wird, verschwindet es irgendwann ganz. Was werden wir dann tun?

Rufen Sie mich an. Ich gehe ran. Weil ich gerne eine menschliche Stimme höre. Noch immer.

Mit nachdenklichen Grüssen,

Ihre Barbara Edelmann

Bildnachweis: stock.adobe.com / Alex Ruhl

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