2012. Juli. Ein wunderschöner Sommerabend.
Wir saßen in einer gemütlichen Weinstube und hatten gerade mindestens den Monatslohn einer Reinigungskraft genüsslich verfressen. Im Rotweinglas spiegelte sich magisch das Kerzenlicht. Die Musik war angenehm, so, als säße man in einem gepolsterten Fahrstuhl, und ich war rundum zufrieden mit der Aussicht auf einen guten Nachtisch. Bis Sascha anfing zu reden. Er hatte die Geschichte schon öfter zur Sprache gebracht, und er erzählte sie immer nur, wenn wir irgendwo in einem Lokal saßen, kurz, ehe die Rechnung kam.
„Weißt du“ – er beugte sich vor und sah mir verschwörerisch in die Augen. Dazu muss ich anmerken, dass Saschas Augen blitzeblau waren, seine Haut trotz seiner 45 Lenze noch beinahe keine einzige Falte aufwies und er immer den Eindruck auf mich machte, als würde er gleich eine Steinschleuder aus der Gesäßtasche ziehen und dem Kellner ein Auge ausschießen.
Einfach aus Jux und Tollerei. Weil er so ein Lausejunge war.
„Weißt du, ich war doch vor einigen Wochen mit Susanne beim Essen.“ Ja. Ich wusste das und kannte die Geschichte, tat aber so, als hätte ich alles vergessen.
„Susanne hat ja nicht viel Geld. Ist gerade ihrem Mann weggelaufen, da sind ihre zwei Kinder, Einkommen hat sie auch keines.“
Auch das wusste ich, denn ich hatte Susanne kennengelernt: eine solariumgebräunte hagere Blondine Anfang 30, die spätestens in 10 Jahren entweder stolze Besitzerin eines Melanoms oder eines Lifting-Gutscheins sein würde.
Susanne war an mir vorbeigehuscht, voller ungläubigem Entsetzen darüber, wieso Sascha mich alte Schachtel ihr vorziehen konnte. Sie war dürrer als ich, jünger als ich und außerdem viel gebräunter. Ich hätte ihr den Grund nennen können, aber das wäre eitel gewesen, also behielt ich es für mich und starrte nur bedauernd auf ihren mageren Hintern und die Arschgeweihhälfte über dem Hosenbund. Ihren Friseur hätte ich jedenfalls verklagt, denn Susanne hatte die Haarfarbe von Dorothy von den „Golden Girls“, aber liebe Güte – die Frau war 31. Die wusste hoffentlich was sie tat. Egal.
„Also, stell dir vor…“ Sascha beugte sich noch weiter vor. „Ich ging in dem Lokal nach dem Essen auf die Toilette, und als ich zurückkam, hatte sie schon alles bezahlt. Auch meine Rechnung. Heimlich. Sie hat fast nichts aber einen unglaublichen Stolz.“
„Trottel“ dachte ich im Stillen. „Du, Sascha, bist ein unglaublicher Trottel.“
Es sollte erwähnt werden, dass Susanne sehr in Sascha verschossen war, zumindest behauptete er das immer. Woran das lag, mag ich im Nachhinein nicht sagen, außer dass die Frau kein Gespür für Vollidioten hatte, aber das würde mit den Jahren noch kommen.
„Toll“ antwortete ich gelassen. „Echt toll. Eine Frau mit Charakter. Finde ich klasse.“
Dabei vergaß ich, zu erwähnen, dass ICH diesbezüglich überhaupt keinen Charakter hatte. Sascha hatte mich zum Essen eingeladen, ja, eher genötigt, und das würde er bezahlen. Ich winkte dem beflissenen Kellner und bestellte mir noch etwas Flambiertes. Es war das teuerste Dessert auf der Karte, und Sascha hatte es für diesen plumpen Versuch von Beeinflussung einer erwachsenen Frau verdient. Später bezahlte er widerwillig, gab beinahe kein Trinkgeld, und ich bedankte mich nicht. Da bin ich schmerzfrei.
Diese Geschichte hat einen Hintergrund.
Immer wieder lernen wir an einem Wasserloch, im Fitness-Studio, in der Disco, an der Tankstelle oder – für ganz verwegene Frauen im Baumarkt – Männer kennen, die wir auf den ersten Blick super finden. Eigentlich stimmt alles oder das meiste. Die sind attraktiv, können reden, machen zur rechten Zeit Komplimente und alles in allem könnte die Geschenkpackung schlechter sein.
Sascha war am Anfang toll. Da ich eine emanzipierte selbstbewusste Frau bin, machte es mir nichts aus, im Lokal gelegentlich zu bezahlen.
Immerhin verdiente ich mein eigenes Geld, hatte ein paar Jährchen auf dem Buckel und hatte meinen Stolz. Im Gegensatz zu Susanne.
Im Laufe der nächsten Wochen stellte sich heraus, dass Sascha der absolute Geizkragen war. Man begegnet diesem Typus überall, und das Schlimme ist, dass er sich rein äußerlich von einem wirklich netten Typen nicht unterscheidet.
Er sieht normal aus, redet normal, das einzige mit einem extra Vorhängeschloss versehene Accessoire ist sein Portemonnaie. Das rückt der nie raus. Da geht eher die Welt unter oder ich erhalte den Friedensnobelpreis.
Wir hielten uns unter der Woche meistens bei mir zuhause auf. Bestellten wir eine Pizza (eher zwei), hatte Sascha natürlich immer seine Geldbörse im Auto, am Nordpol oder an sonst irgendeiner absolut unzugänglichen Stelle, die ohne Arktisausrüstung nicht zu erreichen war, verlegt. Ich bezahlte. Anfangs murrend, später widerwillig und seit einiger Zeit – siehe Weinstube – gar nicht mehr.
Da ich das Vergnügen mit Sascha über Gebühr (denn er war außerdem noch ein Zehntel Lügner, zwei Zehntel Schaumschläger, drei Zehntel Fremdgänger und der Rest Schnorrer) ausdehnte und ihn erst nach Ablauf von vier kostspieligen Monaten rauswarf, musste ich eine Menge arbeiten, um den defizitären Lebenswandel mit ihm finanziell wieder auszugleichen.
Hier einige unübersehbare Hinweise darauf, dass man es mit einem echten Geizkragen zu tun hat:
1. Die einzigen Blumen, die Sie von ihm je bekommen werden, stammen vom Friedhof, einer nahegelegenen städtischen Blumenrabatte oder dem Geburtstag seiner Mutter, wo er heimlich ein paar hängende Gerbera hat mitgehen lassen. Manchmal ist der Geizkragen sogar zu blöd, die Glückwunschbänder des Kegelklubs abzufieseln.
2. Restaurantbesuche erfolgen immer nur nach einer vorher erfolgenden absolut mühsamen Diskussion über Gleichberechtigung, den kaputten Scheibenwischer an seinem Benz (bei sich selbst ist der Geizige komischerweise nie geizig) und seinem Versprechen, dass er spätestens beim nächsten Mal bezahlt. Wenn die Hölle zufriert. Noch lieber ist ihm allerdings, Sie laden ihn ein. Dann isst der auch Stierhoden, gebratene Mehlwürmer oder angegilbtes Sushi. Hauptsache gratis.
3. Kinobesuche gibt es nicht. Wenn ausnahmsweise doch (Sie versprechen, dass Sie Ihre Karte selbst bezahlen), nimmt er von (Ihrem!) Zuhause die Tupperdose mit einem Wurstbrot plus hartgekochtem Ei mit, eine Tüte Erdnüsse von Aldi und die Billig-Cola vom Discounter. Reinschmuggeln müssen Sie natürlich die ganzen Sachen, da Männer naturgemäß keine Handtaschen benützen. Zumindest die meisten.
4. Anspielungen auf Dinge die Ihnen gefallen könnten („Guck mal, Hans-Rüdiger, das ist aber eine hübsche Halskette!“) können Sie sich sparen. Auf dem Ohr ist er komplett taub. Ohne Aussicht auf Besserung.
5. Ausflugsfahrten mit dem geizigen Schnorrer werden oft anschließend akribisch abgerechnet mit dem Verweis auf Reifen-Abnutzung, Benzinkosten und Verschleißteile. Das würde ich mir vorher genau überlegen. Mit Ihrem eigenen Auto können Sie mit dem geizigen Schnorrer gern bis nach Petersburg fahren. Ist ja nicht sein Geld.
6. Supermarktbesuche können mit einem geizigen Schnorrer sehr frustrierend ausfallen. Er wird Ihnen alles in den Einkaufswagen werfen, das er gern isst (und er hat ein Faible für Hochwertiges, nicht für No-Name-Produkte) und vor der Kasse dann ein Telefonat vortäuschen, das es ihm ermöglicht, den Laden vor Ihnen und ohne Bezahlen zu verlassen. Wenn Sie dann vollbepackt aus dem Supermarkt kommen, sucht der Schnorrer gerade seinen Geldbeutel zwischen den Sitzen Ihres Wagens. Mit seinem kann man nicht fahren.
Diese Liste könnte ich noch endlos weiterführen, allein: Sie sind eine kluge, selbständige Frau und finden schon selbst heraus, dass etwas nicht stimmt, oder? Weil nämlich der geizige Schnorrer nach einer kurzen Tarnphase ohnehin die Maske fallenlassen wird. Und dann sehen Sie zu, dass Sie Land gewinnen, denn dann gewinnen Sie wenigstens irgendetwas. Mehr gibt es bei einem geizigen Schnorrer nicht zu holen.
Übrigens soll dies keine Anstiftung dazu sein, Männer mal gründlich auszunehmen. Aber an einem Geizkragen haben Sie nicht lange Freude. Und nach einiger Zeit der Bekanntschaft auch kein Geld mehr. Denken Sie genau darüber nach. Es sei denn, Sie sind reich und können sich solch ein Exemplar leisten.
Ich wünsche Ihnen noch eine schöne Restwoche und verbleibe wie immer augenzwinkernd
Ihre Barbara Edelmann
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