Bekanntlich ist ist im Leben oft so, dass Inspirationen oder Erfahrungen im Privatleben Einfluss auf die Entwicklung von Produkten oder Dienstleistungen haben. Die bekanntesten Beispiele sind wohl Babyphones, Lieferdienste oder auch Leute wie Mark Zuckerberg, der nur eine digitale Möglichkeit für den Kontakt unter Freunden suchte und mal eben das größte Social-Media-Netzwerk der Welt gründete.
Rollatortaschen für die Generation ab 65plus
Diese Produkte und Dienstleistungen für den Massenmarkt dürfte jeder kennen. Nicht minder aktiv geht es aber auch auf dem Markt für spezielle Zielgruppen-Produkte zu. Bis vor kurzem konnte man das wöchentlich in der Gründershow “Die Höhle der Löwen” beobachten. So gut wie alle Gründer, die dort vorsprachen, haben ein Produkt entwickelt, das im Zusammenhang mit einer persönlichen Erfahrung entstanden und zumeist für eine bestimmte Zielgruppe gedacht ist.
Obgleich sich die Zielgruppen in der Show unterschieden, ging es in den allermeisten Fällen um Entwicklungen für die fitte, berufstätige und urbane Generation.
Doch auch in der Generation 65plus sind spezielle Produkte mehr als gefragt. Das kann man am Beispiel von Katja Guderjan (im Bild) wunderbar sehen.
Sie erlebte während der Pflege ihrer Mutter, wie rückständig, umständlich und unmodern die Behältnisse am Rollator daherkamen. Zudem bekam sie mit, dass ihre Mutter diese Gehhilfe als Ausdruck von Schwäche und Hilflosigkeit sah. Zumeist mochte diese den Rollator am liebsten gar nicht in der Öffentlichkeit benutzen.
Diese Erfahrung brachte die gelernte Designerin auf die Idee, eine spezielle Rollatortasche zu entwickeln, die modern, frisch und auch von den Funktionen her zeitgemäß daherkam. Sie entwickelte die Marke rollial und ist damit in echte Marktlücke gestoßen.
Die Pflege der eigenen Mutter brachte die Idee für ihr Produkt
Im Interview stand sie uns Rede und Antwort:
FB: Frau Guderjan, auf die Idee, Taschen für den Rollator zu fertigen kamen Sie durch eine familiäre Situation. Erzählen Sie doch mal!
Nun ich war zu diesem Zeitpunkt Leiterin einer kleinen Abteilung einer Werkstatt für behinderte Menschen in Kiel. Gemeinsam haben wir dort schon Taschen entwickelt und in lokalen Geschäften verkauft. Was es bedeutet mit einer schweren Erkrankung leben zu müssen und selbstverständlich an unserer Gesellschaft teilhaben zu wollen, konnte ich dort lernen.
Dann bekam meine sportliche, aktive Mutter eine sehr schlechte Diagnose mitgeteilt. Ich ließ ich mich von meinem Arbeitgeber freistellen, um mit der gesamten Familie ihre Pflege in einem kleinen ländlichen Ort organisieren zu können.
Viele Menschen assoziieren Rollator mit Schwäche und Hilflosigkeit
Neben vielen anderen Dingen kam der Rollator ins Spiel, für meine Mutter der Ausdruck von Schwäche, Alter und Hilflosigkeit.
FB: Als gelernte Designerin haben Sie einen gewissen Background. Wie sehr hat Ihnen das geholfen, aus Ihrer Idee ein Produkt werden zu lassen?
In erster Linie habe ich keine Scheu, Produkte in Frage zu stellen und von ihnen zu erwarten, dass sie mir vom Design gefallen, zu mir passen und auf meine Bedürfnisse zugeschnitten sind. Im Fall Rollator stellte ich fest, dass es viele technische Neuerungen am Gerät gab, jedoch kein passables Zubehör für Menschen, die ihren Alltag damit bestreiten müssen.
Damit meine ich zum Beispiel, dass ich es nicht verstehen konnte, warum es nur schwarze Beutel oder Eisenkörbe zum Anhängen gab? Oder warum selbst bei sehr teuren Markenrollatoren Taschen als Zubehör mitgekauft werden müssen, die nur diese eine Funktion zufriedenstellend erfüllen?
Rollatortaschen sind Fahrradtaschen ähnlich
Ich lernte auch, dass viele Rollatornutzerinnen mehrere Rollatoren haben, in guten Zeiten mit dem Stock gehen können und in schlechten manchmal einen Rollstuhl benötigen. So pusselte sich die Idee für eine multifunktionale Rollatortasche ganz organisch zusammen.
FB: Wie lässt sich Ihr Produkt am besten beschreiben?
Allen, die noch nie auf eine mobile Hilfe angewiesen waren erkläre ich die Eigenschaften unserer rollial Taschen gerne am Beispiel der Fahrradtaschen.
Hier können sich sehr viele an unflexible, sperrige Satteltaschen und Metallkörbe erinnern, die sie bis in die 80er Jahre genutzt haben. Heute ist es undenkbar, eine solche Konstruktion am Fahrrad zu haben und jede Radfahrerin oder Radfahrer hat eine genaue Vorstellung davon, was die eigene Tasche können muss und wie diese aussehen soll.
Es gibt flexible Aufhängungen, Platzierungsmöglichkeiten und eine Designauswahl. Fahrradtaschen im Businesslook oder schicke Handtaschen, die mit einem Griff am Lenker befestigt werden können und einen Regenguß aushalten.
In Marktlücke gestoßen
Genau so einfach und individuell funktionieren unsere Taschen um und am Rollator.
FB: Wie reagieren Frauen, die auf den Rollator angewiesen sind, auf Ihre Taschen? Sie sind doch hier sicher in eine Marktlücke gestoßen?
Ja, irgendwie schon. Ich denke, die Hersteller haben bislang den Alltag mit Rollator außer Acht gelassen, der nicht nur auf der Straße stattfindet. Möchte FRAU weiter so aktiv wie möglich bleiben, braucht sie den Rollator und ihre Tasche nicht nur zum Einkaufen, sondern auch im Restaurant, beim Hausarzt, um die Enkel abzuholen oder in der Schwimmhalle.
Unsere rollial Taschen können das, hier liegt unser innovatives Angebot. Grundsätzlich verkaufen wir aber eine ganz normale, haptisch schöne und gut durchdachte Tasche, die eben auch sicher und einfach am Rollator eingehängt werden kann.
Taschen müssen im Alltag von Frauen viele Funktionen haben
Berufstätige Frauen nehmen das Konzept ganz selbstverständlich und dankbar an. Sie gehen mit einer Tasche für den Tag aus dem Haus und suchen diese aufgrund der Aufgaben, die diese erfüllen muss, aus.
Wer sich mit einer Beeinträchtigung durchzuschlagen hat, kann nicht in allen Situationen auf den Rollator als Hilfe zurückgreifen. Ob es Stufen zu überwinden gilt oder einfach die Räder zu schmutzig sind, um damit über den Teppichboden fahren zu wollen. Dann helfen erlernte Tricks und zwei freie Hände. Die Möglichkeit aus der Handtasche einen Rucksack machen zu können unterstützt diese Flexibilität.
FB: In Kiel haben Sie für Ihre Erfindung sogar schon einen Gründerpreis verliehen bekommen. Hat das Ihrem Geschäft einen Schub gegeben, gerade was den Ausbau des Bekanntheitsgrades angeht?
Ganz klar ja, der Preis kam genau zum richtigen Zeitpunkt!
Gründerpreis motiviert zum weiteren Aufbau der Firma
Wir hatten unsere erste Kollektion im Lager und waren gerade auf der Suche nach Verkaufspartnern im Sanitätsfachhandel. Mit dem Preis und dem Urteil der Jury konnten wir als junges Unternehmen zeigen, dass wir für den Markt bereit sind.
Der Preis hat uns viel Motivation zum weiteren Aufbau unserer kleinen Firma gegeben.
Es war sehr schön zu sehen, dass neben digitalen Anwendungen und Apps der Megatrend „Silver Society“ und die damit verbundenen Fragestellungen in der Gründerszene angekommen sind.
FB: Ihre Marke rollial und die dazugehörenden Taschen platzieren Sie absichtlich mehr im Bereich Fashion als im klassischen Hilfsmittelbereich der Sanitätshäuser. Folgen sie damit einem Trend?
Ich wünsche mir, dass wir das tun und weiter anschubsen. Dass immer mehr Produkte, auf die Menschen mit Beeinträchtigungen nicht verzichten können, schicker, individueller und zahlreicher werden. Die Hersteller von Makeup und Kosmetik für Frauen über 70 Jahren sind dem Fashion Bereich da weit voraus.
Viele Produkte sind aktuell im Wandel
Es gibt viele bekannte Schuhmarken, die ihre Modelle mittlerweile mit herausnehmbaren Innensohlen ausstatten. Dies führt dazu, daß einfache orthopädische Einlagen viel früher und regelmäßig getragen werden.
FB: Sie arbeiten im Team mit einer Kollegin – wie gestaltet sich das Tagesgeschäft von Ihnen beiden?
Aktuell haben wir angefangen uns montags aus dem Homeoffice zu retten und gemeinsam die Wochenplanung zu besprechen. Wir befinden uns in unterschiedlichen Lebensabschnitten und den damit einhergehenden familiären Verpflichtungen.
Unser Businessplan für 2020 ist durch die Corona Pandemie, wie in allen Betrieben, über den Haufen geworfen worden. Mit neuen Investitionen sind wir noch vorsichtig und reagieren auch mir der Aufteilung unserer Aufgabengebiete sehr sensibel aufeinander.
FB: Ihr Sortiment soll noch erweitert werden – welche Pläne gibt es?
Durch die lange Zeit, die wir uns für die Produktentwicklung eingeräumt hatten, sind unsere Schublanden randvoll mit Ideen zu weiteren Accessoires, für Menschen mit Gehbehinderungen.
Mit Multifunktionalität punkten
Mit unserer ersten Startup-Kollektion wollten wir aktive Frauen ansprechen und mit viel Platz für Einkäufe und der Multifunktionalität punkten.
In der zweiten Kollektion werden wir erstmal unsere Farbauswahl vergrößern und schnellstmöglich eine Businesstasche für Herren anbieten. Diese haben sich in unseren Social-Media-Media Foren schon beschwert.
Langfristig möchten wir noch viel mehr für Menschen im Rollstuhl arbeiten und dafür unsere Werkstatt vergrößern und Personal einstellen. Unter dem Projektnamen „Maßkonfekt“ haben wir hier schon erste Versuche gestartet, um unsere Taschen mit maßgeschneiderten Halterungen auch für die Nutzung am Aktiv- oder Elektrorollstuhl anbieten zu können.
FB: Sie selbst sind als Geschäftsfrau ziemlich eingespannt. Wie relaxen Sie, wenn Sie freie Stunden haben? Gibt es Hobbys?
In den Letzen Monaten hat sich mein Interesse für Kunst, Theater und Literatur in eine kleine Hörbuch-Abhängigkeit verwandelt.
Mit Hörbüchern vom Alltag abschalten
Ich höre kaum noch Musik, viel lieber lausche ich in meiner Freizeit guten Sprecher und Sprecherinnen, die mir ein Buch vorlesen. Ich versüße mir damit auch viele Routinen in der Haushaltsführung, die dann oft etwas länger dauern, aber tatsächlich und entspannt von mir erledigt werden.
Mehr zu den Produkten finden Sie hier.
Weitere spannenden Interviews mit engagierten Gründerinnen finden Sie – unter anderem – auch hier und hier im Magazin.
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