Samstag, 27. Juli, 2024

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Genug gefastet! Kolumne von Barbara Edelmann

Diäten, Abnehmen und Kalorienreduzierung bei jeder Mahlzeit – das ist immer wieder ein großes mediales Thema. Vor allem in Frauenzeitschriften und Online-Formaten für die weibliche Leserschaft wimmelt es von Abnehm-Tipps. Dass man (FRAU) nicht nur attraktiv ist, wenn man wie ein Klappergestell daherkommt und eine Konfektionsgröße 42 vor wenigen Jahrzehnten einfach nur herrlich weiblich und keineswegs “moppelig” war – damit beschäftigt sich unsere Kolumnistin Barbara Edelmann in ihrer aktuellen Kolumne.

Letzten Samstag räkelte ich mich gerade müde auf dem Sofa, als mein Blick auf mein DVD-Regal fiel. Ich stöberte ein wenig darin herum und legte dann in einem Anflug von Nostalgie eine alte Folge von „Magnum“, einer Detektiv-Serie aus den 80er-Jahren, in den DVD-Player.

Erinnern Sie sich an den attraktiven, schnauzbärtigen, nur knackige Shorts und Hawaii-Hemden tragenden Mittdreißiger namens „Thomas Magnum“, im wirklichen Leben Tom Selleck?

Er schnorrte sich auf einem herrlichen Anwesen am Strand von Honolulu durch, das dem geheimisvollen „Robin Masters“ gehörte,  ärgerte den Verwalter Higgins und die beiden Dobermänner „Zeus“ und „Apollo“ und ermittelte stets in einem knalloten geliehenen Ferrari. Tom Selleck war damals in den 80ern DER Frauenschwarm schlechthin. Und auch wenn Schnauzbärte und Hawaii-Hemden außerhalb dieser herrlichen Insel mittlerweile aus der Mode gekommen sind, tat es gut, eine kleine Zeitreise zu machen.

Mitten in der Episode purzelte ich beinahe von der Couch, denn zufällig erwischte ich eine Folge, wo Magnum in einem Fitness-Studio ermittelte. Gerade schlenderten 6 Mädels durch den Ausgang und sahen ihn schmachtend an. Sie trugen Bodys, Leggings, neonfarbene Stirnbänder, grenzwertige Dauerwellen und … Größe 38 – 42.

Alle waren verdammt hübsch und wirkten gesund und frisch.

„Ich werd’ nicht mehr“ hauchte ich entgeistert, denn ich hatte dank täglicher Indoktrinierung all der gängigen Frauenzeitschriften tatsächlich vergessen, dass „dünn“ nicht immer schon das neue Schwarz gewesen war.

Es begann in den 90er-Jahren, dass Models nicht mehr für ihre Schönheit bekannt wurden sondern dafür, dass sie aussahen, als kämen sie gerade von einem dreimonatigen Heroin-Entzug, wo ihnen als Zugabe täglich mehrere Ohrfeigen verabreicht wurden. Augenringe, hervortretendes Brustbein, Arme wie Streichhölzchen und Oberschenkel, zwischen denen ein Dobermann problemlos durchlaufen konnte, gehörten plötzlich dazu, um schön zu sein.

Neugierig geworden, recherchierte ich ein wenig und sah mir alte Filmausschnitte aus den 50er und 60er-Jahren an. Die Frauen waren alle normalgewichtig. Naja, die meisten. Und drückte mal unter einem ausgestellten Faltenrock ein kleines Bäuchlein hervor, war das damals mit Sicherheit kein Fall für die Fettabsaugung in der Mittagspause oder Workout im Fitness-Studio. Pah. Da ließ man einfach das nächste Stück Schwarzwälder Kirschtorte beim Nachmittagskaffee liegen oder verdeckte mit einer Stola die Problemzone.

Ach, waren das noch Zeiten.

Alle meine Freundinnen bewegen sich mittlerweile wie gehetzte Lemminge von einer Diät zur nächsten auf der Suche nach der ultimativen Kleidergröße. Will ich die Mädels mal zum Kaffee einladen, gestaltet sich das mehr als schwierig, denn anbieten kann ich nur noch Blaubeeren oder Melonen. Nix mit Schwarzwälder Torte, die würden mich steinigen.

Katrin verzichtet zum Beispiel komplett auf Zucker. Laura isst nichts mit Kohlehydraten. Steffi macht Trennkost und muss ab dem Mittagessen 5 Stunden fasten.

Maria verzehrt von allem ein Viertel, sprich: Sie pickt eine Ecke vom Kuchen und sagt, sie sei satt, und Diandra isst vermutlich nur ein Papiertaschentuch täglich, denn sie ist erschreckend dünn geworden. Beate ist Bulimikerin, was für mich als Köchin/Bäckerin ein merkwürdiges Gefühl bedeutet, wenn ich ihr ein Stück Kuchen serviere, denn ich weiß ja, was sie anschließend damit macht. Wenigstens isst sie als einzige auf.

Ich selbst habe so ziemlich alle Diätmethoden durch und bin im Moment beim Intervallfasten gelandet.  Ohne Erfolg übrigens, denn mein Körper rückt nicht gern was raus. Das hat er von mir.

Wieso glaube ich nur immer, was in den Zeitungen steht? Die behaupten, ich hätte Übergewicht. Mein Hausarzt sagt das Gegenteil.

Und meine Mama kennt das Wort „Size Zero“ noch nicht mal. Die waren damals froh, dass sie was zu essen hatten nach dem Krieg und haben sogar die Teller abgeleckt, wenn man sie ließ.

Aber sobald ich mich bei Facebook einlogge, sind sie auch schon da: dünne Gazellen mit einem Körperfettanteil von höchstens 15 % und einem Selbstwertgefühl von unter null, die aussehen, als würden sie für eine Tafel „Milka“ töten.

„DAS müssen Sie tun, damit Sie wirklich abnehmen!“ prangt es mir schon morgens entgegen, wenn ich ins Internet gehe.

„Mit diesen Lebensmitteln nehmen Sie garantiert ab.“ „Trinken Sie Klarspüler, das reinigt den Darm!“

Von wegen.

Ja, ich war auch schon bei den Weight-Watchers. Ganze 6 Monate lang wog ich Butterstreifen und Tassen voller H-Milch ab, rechnete Kohlehydrate in Punkte um und verlor genau 2 Kilo. Das hat mich etwas demoralisiert. Vor allem, weil da sehr dünne Frauen saßen, die glaubten, sie wären viel zu dick. Die wogen höchstens 55 Kilo und fühlten sich schrecklich. Als ich sie ansah, fühlte ich mich auch schrecklich, weil sie mir leidtaten.

An diesem Samstag saß ich also  vor dem Fernseher, beobachtete diese hübschen, so normal wirkenden Frauen in der „Magnum“-Folge und überlegte, warum denn alle unbedingt so schlank sein wollen. Und warum wir uns von all den Zeitschriften und Modemachern so hin- und herscheuchen lassen.

Wissen Sie was? Ich bin nicht draufgekommen. Es liegt wohl an uns selbst.

Am darauffolgenden Sonntag rief ich während einer Marathon-Sitzung 10 (!) Männer an, die ich kannte. Singles, Ehemänner, Lebenspartner. Alle waren mehr oder weniger glücklich liiert.

„Woran macht ihr die Attrakivität einer Frau fest?“ fragte ich sie. Die Antwort überraschte mich nicht wirklich.

„Selbstbewusstsein“ sagten 9 davon, „große Oberweite“ der 10te. Mit dem bin ich verheiratet.

Mir geht diese „Magnum“-Episode nicht mehr aus dem Kopf, und ich kann sie allen Frauen nur empfehlen. Das ganze Ausmaß der seit ein paar Jahrzehnten erfolgreichen Gehirnwäsche wird nämlich durch dieses kleine Stück Fernsehgeschichte sichtbar. Es war nicht immer en vogue, Embryonengröße zu tragen, wie meine Freundin Julia immer lächelnd sagt, wenn wir beim Shoppen sind. Eine gewisse Zeitlang war man auch mit Größe 42 hübsch.

Und ist man im Übrigen immer noch.

Mal ehrlich: Ich werde es im Leben nicht mehr schaffen, eine Figur zu bekommen wie meinetwegen Heidi Klum. Aber: Ich muss ja gar nicht für „Victoria’s Secrets“ auf den Laufsteg. Ich gehe nur zum EDEKA oder zu ALDI, arbeite im Büro oder im Garten und stehe in der Küche. Dafür genügt mein Aussehen völlig.

Alles, was ich esse, landet ohnehin unmittelbar darauf auf meiner Oberweite, und in üppigen Jahren sehe ich an manchen Tagen aus, als würde ich gleich nach vorn kippen. Man kann es sich nicht aussuchen, wohin es sich verteilt. Bei meiner Freundin Katrin landet es auf den Hüften, die hätte gern mehr Busen. Dafür hat sie aber tolle Haare.

Beim Einzug in die neue Wohnung hauchte meine Vermieterin andächtig, während sie sich in meiner Ankleide umsah:  „Um Himmels Willen, Sie haben ja tatsächlich so viele Klamotten.“

In meiner Ankleide sieht es nämlich aus wie im Requisitenfundus des örtlichen Theatervereins. Wissen Sie warum?

Ich horte alles zwischen Größe 38 und 42, weil ich am eigenen Leib erfahren habe, dass man wirklich niemals „nie“ sagen sollte.

Ein einziger Schicksalsschlag brachte mich innerhalb von 14 Tagen auf von Kleidergröße 42 auf 38. Ich kann bei Kummer nichts essen. Doch jeder Schmerz heilt irgendwann, und dann sitze ich vielleicht in einem Anfall von Wahn mit dem Nutellaglas auf dem Sofa und höre erst auf zu löffeln, wenn mir so richtig schlecht ist. Oder ich esse Pizza und tatsächlich anschließend noch einen Nachtisch. Vielleicht mache ich das sogar mehrere Monate hintereinander, weil ich sehr gern mit Freunden zum Essen gehe und es auch genießen will.

Das lasse ich mir nicht vermiesen. Weil – wie Oscar Wilde so wunderschön sagt – „das Schönste an der Versuchung ist, wenn man ihr nachgibt.“

Und nächsten Sonntag, wenn wir wieder „Mädelsnachmittag“ haben, backe ich aus Trotz eine riesige Torte. Irgendjemand wird die schon essen. Zur Not ich selbst. Ich sage Ihnen dann, wie das mit meinem Intervallfasten ausgegangen ist.

Sie treffen mich bei Ulla Popken.

Ihre Barbara Edelmann

Bildnachweis: pexels.com

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