Freitag, 29. März, 2024

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Ein neuer Facebook-Freund? Nein, danke! Kolumne von Barbara Edelmann

Romance Scamming – die fiese Abzocke, die über das Internet läuft und bei der jedes Jahr hierzulande -zig Frauen Opfer werden und oft viel Geld verlieren, ist noch lange nicht gebannt. Auch die seelischen Verletzungen, die diese Betrugsmasche mit sich bringt, haben es in sich. Denn den betroffenen Frauen wird ja von den jeweiligen Männern, die in Wirklichkeit dreiste Kriminelle sind, vorgegaukelt, dass sie DIE Traumfrau sind.

In unserer heutigen Kolumne widmet sich Barbara Edelmann diesem Thema:

Schon wieder eine Freundschaftsanfrage bei Facebook. Schmunzelnd betrachtete ich den gutaussehenden Herrn Mitte 40. „Christopher N.“, graumelierte Schläfen, gewinnendes Lächeln, grünblaue Augen, hatte mir eine geschickt. Selbstverständlich war er Arzt. Geboren in Oslo, studiert in Berlin, derzeit wohnhaft in Toronto.

Zack. Gelöscht. Veräppeln kann ich mich nämlich selbst.

Sie sind immer Ärzte, Manager, „Director“ bei einem großen Konzern oder Offizier bei der U.S. Army. Darunter geht’s heutzutage nicht mehr. Ein Automechaniker aus Iowa oder ein Lagerarbeiter aus der Walmart-Filiale in Ohio hat bei mir noch nie angefragt. Garniert sind diese Profile mit geklauten Fotos und verlogenen Angaben über beruflichen oder persönlichen Status. „Witwer“, „geschieden“, „Single“.

Ja, ihr mich auch.

Ich finde diese Versuche dreist, aber wie meine Mutter schon immer zu sagen pflegte: „Jeden Tag steht ein Dummer auf.“ Mein erster Fake-Account nannte sich „Sergeant Bubble“ (Name frei erfunden). Der schrieb mir, er fände mich nett und hübsch. Ben, das finde ich auch. Ich bin nett. Und hübsch bei guter Ausleuchtung und einer Sehschwäche ab -3 Dioptrien.

Damals jedenfalls betrachtete ich fasziniert Bens Profilbild: ein markiger Amerikaner mit teigigen Gesichtszügen, der in der Uniform der U.S.-Army in unendliche Weiten starrte wie seinerzeit Captain Kirk auf der „Enterprise“, wenn wieder mal ein fremder Planet auf dem Display auftauchte.

Hm – der Typ schien nett zu sein, also antwortete ich und wurde umgehend um meine Email-Adresse gebeten.

Sergeant Ben war Arzt bei der U.S.-Army und saß laut eigenen Angaben aufgrund einer Verquickung unglücklicher Umstände und einer unterschriebenen Dienstverpflichtung im „Ledernacken-Camp“ in Afghanistan fest, wo ihm täglich Kugeln um die Ohren flogen, die Burger fade schmeckten und die Langeweile einen aufzufressen drohte, wenn das nicht die Sandflöhe vorher erledigten.

Ben war ein ehrbarer Witwer, seine Frau vor einigen Jahren bei einem Unfall verstorben. Sein siebenjähriger Sohn (Bild von blassem, bebrilltem Kind bei den Uploads) lebte derzeit bei der Großmutter in Australien. Sergeant Bubble träumte seit Jahren von einer Frau, mit der er sein Leben in seinem hübschen kleinen Haus in Arizona teilen konnte. Darum betete er jeden Tag.  Und jetzt –  hatte Gott mich geschickt. Mich. Eine Frau, die ihr Geld selbst verdiente, blond war und seiner Meinung nach so verzweifelt, dass sie den Krampf glauben würde, den er sich aus den Fingern sog.

Armer Irrer.

Bens Lebensgeschichte las sich wie eine brasilianische Seifenoper. Fehlte nur noch die zum Mann umoperierte, nach einer Entführung wieder aufgetauchte Cousine 5. Grades, die ihm das Erbe streitig machte und heimlich ein Kind mit dem Vater eines Freundes des Vetters seiner verschwundenen Mutter hatte. Schon nach der ersten Mail war Ben davon überzeugt, dass Gott seine Gebete um eine Frau erhört hatte.

Immerhin war ich …ähm… etwas älter, offiziell alleinstehend, denn ich hatte unter „Beziehungsstatus“ keine genauen Angaben gemacht und seiner Meinung nach auf der Suche nach jemandem, der mich mal so richtig verarscht. Tja, so kann man sich täuschen, Ben.

Täglich trudelten drei ellenlange Mails ein, und ich fragte mich manchmal, was er eigentlich den ganzen Tag sonst noch zu tun hatte. Gab es nirgendwo einen Abszess zu öffnen oder eine Warze zu entfernen, musste der nicht mal raus in die Wüste, um einen Skorpionbiss zu verarzten?

Fragen über Fragen.

Zugegeben: Meine Kenntnisse über die amerikanische Armee leite ich aus der Serie „M.A.S.H.“ und dem Kinofilm „Apokalypse Now“ ab. Ben hatte allerdings genauso wenig Ahnung vom Soldatenleben wie ich. Darum schmückte er seine Mails mit ausführlichen Beschreibungen von glühend heißem Wüstensand in allen Variationen. Das glaubte ich ihm sofort – die Sache mit dem Sand. Denn wo der gute Ben in Wirklichkeit herkam, gab es vermutlich eine ganze Menge davon.

Für das, was „Sergeant Ben“ bei mir versuchte, gibt es im Englischen den Begriff „Romance-Scam“ – so wird die Vorgehensweise genannt, sich in Social Networks an alleinstehende Menschen heranzumachen und ihnen dann langsamer oder schneller eine erhebliche Menge Geldes aus dem Kreuz zu leiern. Man möchte es nicht glauben, aber es ist ein lukratives Einnahmen-Modell. Leider.

Sergeant Ben schien zu bemerken, dass ihm die Felle wegschwammen, denn meine Antworten wurden immer kürzer und unhöflicher. Dennoch gab er nicht auf, denn seiner Meinung nach hing ich ja am Haken und musste nur noch ausgenommen werden.

Kurze Zeit darauf bat er mich eindringlich, mit ihm zu telefonieren, sonst könnte er nicht mehr weiterleben. Im Ledernacken-Camp war es einsam, das Essen furchtbar, täglich flogen ihm Kugeln um seine wohlgeformten Ohren und die etwas teigigen Gesichtszüge. Neulich hatte ihn ein Projektil beinahe an der Schulter gestreift. Auf meine Frage, ob er sich das dann nicht selbst hätte mit der Pinzette herausholen können, weil er doch Militärarzt sei, wurde er sauer. Auch meine Anmerkung, Bruce Willis würde sich so ein Ding mit dem Taschenmesser rausschneiden und dazu noch ein Liedchen pfeifen, kam nicht sonderlich gut an.

Ben beteuerte weiterhin beharrlich, er müsse meine Stimme hören. Immerhin hatte er sich für uns beide eine herrliche Zukunft ausgemalt: in diesem fiktiven Haus in Arizona, zusammen mit dem fiktiven bebrillten dürren Sohn und der fiktiven gesichtslosen Großmutter. Das Ganze klang allmählich, als sei er bei den „Waltons“ aufgewachsen und der ältere Bruder von John-Boy.

„Das ist eine tolle Idee!“ schrieb ich.

„Gib mir deine Nummer, ich rufe dich an, weil ich eine Flatrate habe, die gilt auf der ganzen Welt. Neuer Telekom-Tarif!“ Aber: Ben wollte gar nicht von mir angerufen werden, antwortete er entrüstet. Immerhin befände er sich in einem ultrageheimen Camp mitten in der Wüste mit Kugeln, die ihn umschwirrten wie ein Schwarm Wespen im Sommer meinen gedeckten Apfelkuchen auf dem Balkon. Ich müsste eine sichere Leitung beantragen, die sollte 350 € kosten. Sonderpreis, weil ich’s war und Ben Beziehungen hatte.

Diesen Betrag sollte ich per Western Union überweisen, dann würde die ultrageheime Leitung umgehend freigeschaltet. Ich könnte doch nicht einfach im Ledernacken-Camp anrufen. Da könnten ja die Talisman mithören. Unvermittelt war ich von der brasilianischen Seifenoper in einen Agentenkrimi gewechselt. Barbara. Agentin Nullnullnix.

Kurz darauf erhielt ich eine Email von einer Adresse, die sich „Secretary of Military irgendwas“ nannte. Der Verfasser bemühte sich, dem Schreiben einen offiziellen Anstrich zu geben, aber für mich war an dieser Stelle Schluss und daher blockierte ich den guten Ben, der sich bis heute vermutlich fragt, was damals schief gelaufen ist. Wo die Tussi doch anfangs immer so nett geantwortet hat.

Mönsch, Ben. Ich fand nicht, dass du dir viel Mühe gegeben hast. Und ich finde es bedauerlich, dass jährlich viele tausende von Frauen und Männern auf diese plumpe Masche hereinfallen. Ein paar nette Worte, ein paar kümmerliche Versprechen, und schon öffnet man seinen Geldbeutel, auch man selbst nicht viel hat?

Mein sogenannter Ben war Mitglied der „Nigeria-Connection“, einer kriminellen Vereinigung, die sich auf das Ausnutzen alleinstehender, einsamer Menschen, den sogenannten „Romance-Scam“, als Geschäftsmodell umgestellt hat.

Diese Vereinigung richtet jährlich großen finanziellen und seelischen Schaden an, denn es gibt viele unglückliche, verlassene Menschen, die gerne glauben möchten, dass irgendwo doch noch das große Glück oder die wahre Liebe auf sie wartet, gern auch im Ausland.

Manche überweisen tausende von Euro oder Dollars und verschulden sich sogar, weil der Typ oder die heiße Frau, in den/die sie sich verliebt haben, dringend eine Operation am offenen Handgelenk, ein neues Handy für Geheim-Missionen in Burkina-Faso, ein Ticket zum Frankfurter Flughafen („dann können wir uns endlich in die Arme schließen“) oder neue Munition für sein rostiges Gewehr braucht („Die Armee zahlt uns keine Kugeln mehr – wie sollen wir uns denn verteidigen?“). Da sind die sehr kreativ.

Das Geld ist weg, wenn Sie bezahlen – Sie werden nie jemanden zu Gesicht bekommen, einen Anruf erhalten (nur in seltenen Fällen, wenn sie Nachschlag wollen), geschweige denn an einem Flughafen, Güterbahnhof oder einer Bushaltestelle in Hintertupfing Ihren Seelenverwandten in die Arme schließen können. Schminken Sie sich das ab. Hören Sie auf, ehe Sie pleite sind, oder fangen Sie lieber erst gar nicht damit an.

Hunderttausende gefälschter Profile von angeblichen Managern, Ärzten, Offizieren oder Bankiers im Ruhestand sind allein bei Facebook unterwegs. Aber auch vor großen kostenpflichtigen Single-Börsen machen die Verbrecher nicht Halt. Gelegentlich schlüpfen welche trotz Filter durch die Maschen. Die angezeigten Fotos sind gestohlen, die Lebensläufe frei erfunden, und das meistens nicht einmal sonderlich gut. Ich weiß das, denn ich bin Autorin.

Die Nigeria-Connection arbeitet rund um die Uhr. Wer sich wundert, dass pro Tag 7 Emails hereinschneien, von denen sich jede anders liest als die vorhergegangene, sollte wissen, dass sich die Mitglieder dieses illustren Clubs bei ihrer „Arbeit“ abwechseln. Gut möglich, dass Sie innerhalb von 24 Stunden mit mindestens 3 verschiedenen Personen korrespondieren. Ein bisschen Vorsicht schadet bei Freundschaftsanfragen also nie.

Wenn sie eine bekommen von einem gutaussehenden Amerikaner (wahlweise Engländer oder etwas seltener Italiener), prüfen Sie zuerst alle seine hochgeladenen Fotos. In letzter Zeit werden die Jungs nachlässig.

So kommt es, dass ich Screenshots auf meinem Handy gespeichert habe, wo ein mittelalter Herr in Bademantel und Schlappen stolz vor seiner Yacht in die Kamera lächelt und im Foto daneben ein geistesabwesend wirkender Afrikaner etwas verkrampft in die Webcam grinst.

Reingefallen.

Aussagekräftig ist auch das Erstellungsdatum der Profile. Die meisten wurden  innerhalb einer halben Stunde zusammengefieselt. Achten Sie auf das Datum. Viele Profile enthalten keinerlei Freunde und nur zwei oder drei Fotos, die von echten Männern aus dem richtigen Leben geklaut worden sind. Werden Sie misstrauisch bei „frischen“ Profilen, wenig Fotos (zum Teil unscharf) und wenig Freunden. Sehen Sie sich die Freundesliste, falls vorhanden, genau an. Meistens sind es nur Kumpels der Person, die es sich ausgedacht hat.

Länger bestehende Profile können aber auch gefälscht sein. Neulich entdeckte ich einen „Ingenieur“ bei Exxon (ja, klar…), ein sympathisch wirkender Herr mit gewinnendem Lächeln, dessen Profil schon ein ganzes Jahr (im Internet eine Ewigkeit!) alt war.

Ich las ein paar von ihm geteilte Inhalte. Beachten Sie bitte: Die verfassen so gut wie nie selbst Beiträge, sondern teilen meist nur Inhalte. Befassen Sie sich mit möglicherweise vorhandenen Kommentaren unter diesen geteilten Inhalten und sehen Sie sich ganz genau an, wer kommentiert mit zum Beispiel „yeah, good pic, bro“ und so weiter. Sind alles „Arbeitskollegen.“ Und Kolleginnen. Das können Sie anhand der Profilfotos der Kommentatoren erkennen.

Wir müssen uns wohl damit abfinden, dass dieser „Romance-Scam“ in gewissen Kreisen ein völlig normales Geschäftsmodell darstellt. Die Jungs leben in einem Land mit wenig Industrie, wenig Chancen und Null Perspektive. Für die ist das eine Arbeit wie jede andere. Wir gehen ins Büro oder putzen, arbeiten auf dem Bau oder in der Pflege, die suchen einen Dummen oder eine Dumme, die alles bezahlt. Jeder, wie er kann.

Gemein bleibt diese Form von Geldverdienen allerdings auf jeden Fall. Mein aufrichtiges Mitleid gilt allen, die auf solche Fälschungen hereinfallen und verletzt oder ausgenommen werden. Ich hoffe, sie lernen aus diesen Erfahrungen und haben sich wenigstens nicht verschuldet, ehe ihnen die Augen geöffnet wurden. Weil oft das Gefühl, so richtig verraten und enttäuscht worden zu sein, noch mehr schmerzt als der finanzielle Verlust.

Wenn ich mal so viel Zeit und Muße habe, dann werde ich mir erlauben, einige dieser Anfragen anzunehmen und zurück-veräppeln. Ich kann das gut. Habe ich schon erwähnt, dass ich Autorin bin?

„Hey, Bro,“ schrieb ich kürzlich an einen gewissen „Larry“ Irgendwas. Laut eigenen Angaben war er Manager einer Großbank. „Ich bin Autorin, arbeite gerade an einem Kriminalroman über Internet-Kriminalität und recherchiere über die Nigeria-Connection. Darum habe ich nicht viel Zeit zum Chatten im Moment. Tut mir sooooo leid.“ Schwupp, war er weg und hatte mich flugs blockiert.

Mann, sind die unfreundlich. So wird das aber nichts mit meinem Anruf im Ledernacken-Camp für 350 Euro.

Ich wünsche Ihnen noch eine schöne sonnige Woche. Bleiben Sie wachsam.

Ihre Barbara Edelmann

Infos zu dieser Betrugsmasche finden sich auch hier.

Bildnachweis: pexels.com

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