Samstag, 27. Juli, 2024

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Beim Geld hören meine Freundschaften auf

Freundschaften und Geld – ein nie endendes werdendes Thema! Zu viele Leute tangiert das Verborgen von Geld, die meisten können wohl hiervon das berühmte Lied singen. So auch unsere Kolumnisten Barbara Edelmann, die mit dem schöden Mammon, im Zusammenhang mit Freundschaften, so ihre eigenen Erfahrungen gemacht und sich dieser Thematik ausgiebig gewidmet hat:

Wissen sie, wie ich meine Freunde verloren habe?

Sie stürzten nicht in Gletscherspalten oder wurden von Dreißigtonnern überfahren, sie starben nicht an einer Krankheit oder wurden von einem Asteroiden erschlagen, sie wurden nicht von Außerirdischen entführt, von Tsunamis untergepflügt oder verschwanden einfach so beim Zigarettenholen.

Ich habe ihnen Geld geliehen.

Würden Sie mich nach meinem Sternzeichen fragen, müsste ich antworten „Depp im vierten Haus, Aszendent Trottel“, denn ich war selbst schuld. Diese Freunde pumpten mich nie direkt an. Naja. Machen wir uns nichts vor. Sie kannten mich und wussten, dass eine traurige Geschichte genügt.

Meine Oma besaß ein kleines schwarzes Büchlein, das sie hütete wie einen Schatz.

Einmal durfte ich einen Blick hineinwerfen. Akribisch war jeder Betrag notiert, den sie mir je zukommen hatte lassen, auch wenn es sich nur um einen Euro gehandelt hatte.

Immerhin brachte sie es unter anderem dadurch auf stattliche drei Immobilien, um die sich ihre Kinder streiten konnten.

Ich hätte mir wohl auch so ein Büchlein zulegen sollen. All die „ausgelegten“ Kino-Karten, Bestell-Pizzas, Eisbecher in Biergärten, Tankfüllungen, Bahn-Tickets, Schuh-Sonderangebote und Ski-Pässe würden sich wahrscheinlich auf einen Gebrauchtwagen summieren.

Aber ich führe kein Buch, sonst wäre die Liste der Personen, die mit mir nicht mehr reden, weil sie mir Geld schulden, noch länger.

Dabei verfüge ich nicht über Reichtümer, doch ich wollte einfach nie jemand sein, dem man seine ersparten Scheine aus den erstarrten Fingern reißen muss. Geiz mag ich nicht. Ich lebe nicht über meine Verhältnisse und bin finanziell vorsichtig. Warum das Schicksal mir immer menschliche „Grillen“ schickt, die den ganzen Sommer auf die Pauke hauen, anstatt sich Vorräte für kommende Winter anzulegen, weiß der Himmel. Zum Dank für meine Hilfe ignorieren sie mich und kicken mich aus ihrem Leben.

Jedes Mal, wenn ich bisher Geld verlieh, kriegte ich im gleichen Moment einen drei Meter hohen, fünf Tonnen schweren knallrosa Elefanten geliefert, der bei jeder Begegnung mit einem meiner Schuldner mitten im Raum steht und spöttisch seinen Rüssel hebt. Er ist nicht zu übersehen, aber alle tun, als wäre er nicht da.

Nie sagt jemand: „Hey – da steht ein riesiger knallrosa Elefant neben deinem Vorhang. Vielleicht sollten wir mal drüber reden, dass du von mir noch Geld kriegst, ich hab’ hier 50 Euro, den Rest stottere ich ab wie vereinbart.“ Nie.

Nehmen wir zum Beispiel Susi. Seit unserer Teenagerzeit waren wir ein Herz und eine Seele und beste Freundinnen über drei Jahrzehnte. Ich bin Taufpatin eines ihrer Kinder, sie war meine Trauzeugin, zusammen mit Wolfgang, zu dem ich anschließend komme.

Susi ist geschieden, immer mal wieder solo, so alt wie ich, bei einer Zeitarbeitsfirma beschäftigt und ständig knapp bei Kasse. Das liegt nicht unbedingt daran, dass sie schlecht verdient, sondern ist ihrer Vorliebe für hochpreisige Unterwäsche, farbenprächtige Cocktails in schummrigen Bars und ihrer Schwäche für den Lebensstil von Melania Trump geschuldet. Susis Einkommen kann nämlich mit ihren Ansprüchen nie Schritt halten. Das war noch nie anders.

Bei Susi ist ab jedem 10. zu viel Monat am Ende des Geldes. Trotzdem mochte ich sie sehr, denn wenn man jemanden sein Leben lang kennt, sieht man ihm einiges nach.

„Hör auf mit deinen Predigten“ winkte sie jedes Mal lachend ab, wenn ich ihr zaghaft vorschlug, sich ein wenig einzuschränken. Dafür lebt sie einfach viel zu gern.

Dann wurde Susis Haustier krank: eine Norwegische Waldkatze, an der sie sehr hing. Susi konnte sich die Tierklinik nicht leisten, denn es war der 5. März, ging also schon wieder in Richtung Monatsende. Sie heulte ins Telefon, und mir brach beinahe das Herz. Darum bot ich ihr an, sie sollte das kranke Tier in die Klinik bringen und mir die Rechnung schicken. Die könnte sie dann bei mir abstottern.

Ein tolldreistes Angebot, denn ich wusste bis dahin nicht, wozu Veterinäre beziehungsweise ihre Buchhalter fähig sind.

Die Katze musste trotz aufwändiger Behandlung eingeschläfert werden, und ich bekam von Susi die Rechnung übersandt. Als ich den Umschlag öffnete, fing diese kleine Ader an meiner rechten Schläfe zu pochen, als würde sie gleich platzen, aber das tut sie immer, wenn es um Beträge geht, die mein monatliches Einkommen übersteigen. Da würde ich wohl an mein Sparbuch müssen. Ich hatte an einen Betrag von 200 oder 300 Euro gedacht. So kann man sich täuschen.

Versprochen war versprochen, oder? Also zahlte ich.

Und dann wartete ich. Und wartete. Und wartete. Susi meldete sich mittlerweile selten bei mir. Normalerweise rief sie mindestens zweimal die Woche an, jetzt hörte ich über zwei Monate fast nichts.

Gelegentlich bekam ich eine SMS mit dem Inhalt: „Ich weiß nicht mehr weiter. Am liebsten würde ich mich erhängen. Glaube nicht, dass ich mir noch was zu essen leisten kann.“

Ich bestellte bei einer größeren Firma einen Karton italienischer Pasta plus dazugehöriger Sauce und ließ es an ihre Adresse – eine schicke Dachgeschoßwohnung in der Innenstadt – liefern.

Die SMS hörten nicht auf. Immer häufiger kam darin das Wort „Erhängen“ darin vor, wahlweise „Strick“. Also schrieb ich ihr zum Geburtstag eine Karte: „Liebe Susi, ich erlasse dir hiermit deine Tierarztrechnung. Das ist mein Geschenk für dich. Alles Gute.“

Ich wusste genau, dass ich es ohnehin nie wieder bekommen würde.

Eine Woche darauf besuchte Susi mich auf eine Tasse Kaffee. Stolz drehte sie sich in einer nagelneuen schwarzen Lederjacke um die eigene Achse. „Wie findest du die?“ fragte sie und funkelte mich an. „War gar nicht teuer, nur knapp 100 Euro.“

„Aber ich dachte, du weißt nicht mehr, wie du finanziell klarkommst?“ fragte ich verdattert. Der riesige rosa Elefant neben dem Vorhang trompetete dankbar. Er hatte es satt, ignoriert zu werden. „Hätte ich mir denken können! Von wegen großzügig! Auf deine Geschenke kann ich in Zukunft verzichten!“ fauchte Susi, schnappte sich ihre „Michael Kors“-Handtasche und kündigte mir, als sie wieder zuhause war, mittels Whats App fristlos unsere über 30jährige Freundschaft.

Auf Emails oder andere Nachrichten reagierte sie einfach nicht mehr.

Bis heute weiß ich nicht einmal, ob sie noch lebt, denn um ihr nachzulaufen, war ich zu stolz. Sie würde mir ohnehin nur die Tür vor der Nase zuschlagen. Ab und an fahre ich bei ihr vorbei und lese das Klingelschild, weil ich immer noch nicht fassen kann, was genau denn nun schiefgelaufen ist.

Ich lerne scheinbar äußerst langsam. Nur so kann ich mir erklären, dass mir etwas Ähnliches kurz darauf mit Wolfgang passierte. Wir kannten uns bis dato 12 Jahre. Wolfgang lebt 600 Kilometer von mir entfernt in einer Großstadt. Seine Töchter hatten bei mir auf dem Land alle ihre Ferien verbracht, er war zusammen mit Susi Trauzeuge auf meiner Hochzeit gewesen, und wenn einer von uns Kummer hatte, telefonierten wir stundenlang. Ja, ich kann mit Fug und Recht behaupten, dass Wolfgang mein Freund war.

Er leitete eine kleine Heizungsbaufirma mit zwei Angestellten und zog seine beiden Töchter nach einer hässlichen Scheidung allein groß. Beide bekamen täglich frischgekochte Mahlzeiten, er wusch, bügelte, kontrollierte ihre Hausaufgaben, kümmerte sich um seine Eltern, als sie Pflegefälle wurden – und stürzte dann plötzlich ab, nachdem die Kinder erwachsen und die Eltern tot waren. Der Alkohol kriegte ihn in seine hässlichen Fänge.

Wolfgang  stürzte so brutal ab, dass er seine Firma verlor und sogar seine Wohnung. Daraufhin kroch er bei einer Exfreundin im Souterrain ihres Hauses unter, die ihn aus Mitleid aufgenommen hatte. Glücklich war sie über dieses Arrangement nicht, denn mittlerweile schuldete ihr Wolfgang drei Monatsmieten, wie er mir zerknirscht am Telefon eingestand.

Ich bin Sternzeichen Depp. Denken Sie bitte daran.

Darum lieh ich ihm das Geld für die ausstehenden Mieten und noch ein bisschen mehr, denn er brauchte doch auch was zu essen.

Kurz darauf verlor ich Wolfgang, wie bereits Susi zuvor. Er schickte mir genau eine einzige Rate in einem Brief. Danach war er nicht mehr zu erreichen. Weder am Telefon, noch per Email, SMS oder Whats-App. Bei Facebook hatte er mich entfreundet und blockiert. Genau wie bei Susi wusste ich nicht einmal, ob er noch lebte. Das wurde allmählich zu einer lieben Gewohnheit.

Gibt es eigentlich Friedhöfe für gestorbene Freundschaften? Warum hatte ich ihn nichts unterschreiben oder wenigstens den Empfang quittieren lassen? Fragen über Fragen.

Zu Weihnachten schickte ich ihm eine Karte, auf der stand: „Du musst ganz schön viele Freunde haben, wenn du dir erlauben kannst, sie so zu behandeln.“ Natürlich reagierte er nicht. Und mein Geld war weg. Wieder mal.

Das ärgerte mich nicht – es tat mir weh. An diese Freundschaft hatte ich – genau wie zuvor bei Susi – geglaubt. Aber scheinbar hatte auch sie eine Halbwertzeit von 2000 Euro.

Düster nahm ich mir vor, in Zukunft gnadenlos zu werden. Ich würde mich ändern, nie mehr etwas verleihen. Die sollten mich alle kennenlernen. Knallhart würde ich sein. Nie mehr auf traurige Geschichten hereinfallen. Es ging genauso lange gut, bis Beate kam. Eine alleinstehende Frau Ende 40, schwierige Kindheit, immer auf der Suche nach Mr. oder Mrs. Right, Beate ist nämlich bisexuell und sehr einsam. Auch Beate kannte ich damals schon über 20 Jahre.

Mit Tränen in den Augen saß sie mir gegenüber und erzählte von dem Kirchenchor-Ausflug, an dem sie so gerne teilnehmen wollte. Nach Rom sollte es gehen, doch 500 Euro fehlten ihr noch. Und jetzt musste sie wohl zuhause bleiben, während sich ihre Sängerfreude auf dem Petersplatz gegenseitig fotografierten und abends unter dem römischen Himmel von unfreundlichen Kellnern bedient wurden.

„Ich arbeite so hart, und jetzt reicht es nicht mal für so was.“ Mit tränenfeuchten Augen sah Beate mich an.

Mein Deppen-Gen zwickte mich in den Nacken, also holte ich seufzend das Geld, überreichte es ihr und öffnete resigniert gleichzeitig die Tür für den großen rosaroten Elefanten, der ungeduldig draußen wartete. Er nahm, wie gewohnt, mitten im Raum Platz und sah mich höhnisch an.

Beate fiel mir um den Hals, verabschiedete sich freudestrahlend und verschwand in ihrem blitzblanken schwarzen Cabrio nach Hause. Kaum war sie weg, kriegte ich von meinem Verstand eine Standpauke.

„Bist du komplett bescheuert?“ fragte er wütend. „Beate arbeitet als Hausdame für dieses reiche Ehepaar am See und verdient 2600 Euro netto im Monat. Außerdem hat sie zwei Wohnungen in ihrem Haus, das längst abbezahlt ist, vermietet. Ich glaube, ich muss dich entmündigen, du dumme Gans. Ab jetzt übernehme ich.“

Wie es weiterging? Genau ein einziges Mal hatte ich noch Gelegenheit, mit Beate zu sprechen. Sie rief mich an, um sich bei mir über ihre Mieter zu beschweren, weil die ihr eine Python als Haustier verschwiegen hatten. Darüber war sie außerordentlich entrüstet.

Ganz vorsichtig versuchte ich im Laufe des Gesprächs, unauffällig das Wort „Geld“ unterzubringen, als sie mich abrupt unterbrach, mir erklärte, sie könnte mit so negativen Menschen wie mir nicht befreundet sein und einfach auflegte.

Einfach. Auflegte. Ist wirklich wahr.

„Ich hoffe, du hast es jetzt endlich kapiert, du Dumpfbacke“ sagte mein Verstand grimmig. Vorsichtig sah ich mich um. Der rosa Elefant war verschwunden. ich hoffe, der geht jetzt jemand anderem auf die Nerven, er nimmt nämlich ziemlich viel Platz weg.

Beim dritten Mal tat es gar nicht mehr so weh. Weil ich mir ja vorgenommen habe, aus Fehlern zu lernen.

Viele Freunde sind nicht mehr übriggeblieben, nur gute Bekannte. Denen werde ich nix leihen. Unter gar keinen Umständen. Sonst muss ich bald allein ins Kino. Sicherheitshalber habe ich trotzdem mir einen Quittungsblock gekauft und ein Kreditvertrags-Formular aus dem Internet heruntergeladen.

Hm. Grade fällt mir ein: Der Nachbar zwei Häuser weiter geht mir eigentlich ziemlich auf die Nerven. Ständig feiert er wüste Partys bis zum Morgengrauen, ist unhöflich und parkt meine Ausfahrt zu.

Gleich mache ich mich auf den Weg zu ihm und frage ihn, ob er Geld braucht, darum entschuldigen Sie mich jetzt bitte.

Ich wünsche Ihnen eine herrliche Restwoche.

Mit sparsamen Grüßen.

Ihre

Barbara Edelmann

Bildnachweis: pexels.com

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