Donnerstag, 21. November, 2024

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„Ich dachte, er ändert sich.“- Eine wahre Geschichte

Stellen Sie sich vor, Sie haben beschlossen, sich einen Gebrauchtwagen zuzulegen, weil Sie einen fahrbaren Untersatz benötigen und es satthaben, zu laufen.

Was Sie wollen, wissen Sie genau: einen benzinsparenden fünfsitzigen Kombi mit bis zu 90 PS in der Farbe Grau oder Anthrazit. Monatelang haben Sie sich im Internet schlau gemacht und Angebote geprüft, beschließen aber, den Wagen vor Ort zu kaufen, damit sie ihn sofort mit nach Hause nehmen können. Sie klappern alle Händler in Ihrer näheren Umgebung ab, doch nirgends gibt es, was Ihnen vorschwebt. Am Ende eines langen Tages stehen Sie dann vor einem sperrigen Geländewagen mit Dellen und Rost an verschiedenen Stellen. Er hat 180 statt 90 PS und ist nicht grau, sondern feuerrot. In den Fond passen mit viel Glück zwei Kleinwüchsige, und das Ding wird garantiert mehr Sprit saufen als Ihr verstorbener Onkel Leipold seinerzeit Apfelkorn.

Sie wollen aber unbedingt einen Wagen, jetzt, sofort, deshalb denken Sie sich:

„Ach, zur Not bringt man da auch 5 Leute rein. Der hat zwar keinen Kofferraum, aber ich lasse eine Anhängerkupplung montieren. Und der Spritverbrauch ist enorm, aber dann fahre ich weniger. Hauptsache, nicht mehr laufen.“

Und jetzt ersetzen Sie einfach „Gebrauchtwagen“ durch „Mann“.

Würden Sie diesbezüglich so einen Kompromiss eingehen? Nein? Dann lesen Sie, wie es meiner Bekannten Beate erging.

Vor fünf Jahren lernte sie – eine hübsche Brünette Mitte 30, Sekretärin der Geschäftsleitung, und verbissen auf der Suche nach dem Partner fürs Leben – Tom, 36, freiberuflicher Grafiker, auf einer Party kennen.  Er war groß, schlank und dunkelhaarig, mit freundlichen braunen Augen und gewinnendem Lächeln. Tom mochte laut eigener Aussage Kinder und Tiere und schien still, sanftmütig und gelassen zu sein. Beate verknallte sich sofort, denn es war spät am Abend und kein anderer Kandidat in Sicht.

Am nächsten Tag gingen sie zusammen essen. Tom erschien beinahe eine Stunde zu spät zu der Verabredung beim Italiener, in einem Parka aus Restbeständen der Bundeswehr, mit dreckigen Sneakers und fleckiger Hose. Bei Spaghetti und Lambrusco erklärte er Beate freimütig, dass er weder vom Heiraten noch von Beziehungen oder Familie etwas hielte. Nach seinem dritten, in Rekordgeschwindigkeit geleerten Glas Wein flocht er beiläufig ein, dass er momentan mehr trinke, weil seine letzte Freundin ihn verlassen habe, diese verständnislose Zimtzicke. Und dass er sparen müsse und Beate deshalb heute nicht einladen könne, denn er restauriere gerade einen Oldtimer, der eine neue Zylinderkopfdichtung bräuchte. Er sei außerdem öfter mal pleite, weil die Aufträge gelegentlich auf sich warten ließen, er aber freiberuflich bleiben wolle und sich nicht vorstellen könne, sich in eine Firmen-Hierarchie einzufügen.

Weiter gab er zu, dass ihn außer alten Autos nichts interessiere, weder Musik, noch Freunde, weder Filme noch Bücher. Er schien wie ein weißes Blatt, das Beate sich im Stillen vornahm, zu beschriften. Mit einem dicken wasserfesten Eddingstift, nämlich ihren eigenen Vorstellungen.

Tom redete langsam und bedächtig. Beate lauschte ihm scheinbar aufmerksam, und doch hörte sie… nichts, denn alles, was sie dachte war: „Endlich muss ich nicht mehr zu Fuß gehen.“ Im übertragenen Sinne.

Sie interpretierte Toms Desinteresse an allem, was ihn umgab, als Abgeklärtheit, seine Einsilbigkeit als Gelassenheit, und dass er sich am Lambrusco bediente, als wäre er gratis, fand sie nicht so schlimm.

Als sie mir Tom damals vor fünf Jahren vorstellte, war ich erstaunt, denn normalerweise stand sie auf Anzugträger mit einwandfreien Manieren – kultivierte, weltgewandte Männer mit Charme und Bildung, die sich auf jedem Parkett zu bewegen wussten. Tom sah nicht aus, als hätte er überhaupt schon mal ein Parkett von näherem gesehen. Höchstens beim Draufknallen, wenn er betrunken war. Er war das genaue Gegenteil von allen Männern, mit denen ich Beate zuvor gesehen hatte.

„Der ist so cool“ schwärmte sie, als Tom auf der Toilette verschwand. „Tiefgang hat der. Und tierlieb ist er auch. Ich glaube, ich bin verknallt. Endlich mal ein Typ, der nicht so oberflächlich ist wie dieser Versicherungsmakler vom letzten Mal. Und vielleicht hat er Recht, wenn er mir vorwirft, ich hätte zu viele Klamotten. Wahrscheinlich wird es Zeit, dass ich mein Leben umstelle, immerhin werde ich in fünf Jahren 40.“

„Du bist nicht verknallt, du bist verzweifelt“ dachte ich damals, behielt es aber für mich. Es half nicht, Beate dreinzureden. Sie wusste normalerweise sehr genau, was sie wollte. Aber ihr Kinderwunsch war in den letzten Jahren drängend geworden, und scheinbar dachte sie, Tom wäre der richtige Mann, ihr bei deren Produktion behilflich zu sein. Wie sie so dasaß mit leuchtenden Augen, gönnte ich es ihr von Herzen, glücklich zu werden.

Zwei Jahre lang hörte ich von Beate und Tom wenig. Nur gelegentlich rief sie an und klang längst nicht mehr so begeistert wie am Anfang.

„Genau einmal habe ich Blumen zum Geburtstag bekommen“ erzählte sie vor einiger Zeit.  „Da war das Etikett noch dran, denn die waren reduziert. Ich könne mir die zukünftig selbst kaufen, sagte er. Weil ich besser verdiene. Aber ich glaube, das ist eine Ausrede, der ist nur knickerig. Immer muss ich ihn einladen, wenn wir zum Essen gehen. Zu Weihnachten habe ich einen selbst gekritzelten Gutschein für eine Massage gekriegt. Er wird schon noch draufkommen, wie viel Glück er mit einer so geduldigen Frau wie mir hat.“

„Und wie geht es weiter mit euch? Fühlst du dich gut?“ fragte ich.

„Weiß nicht“ murmelte sie. „Ich hätte wohl damals auf meinen Bauch hören sollen. Irgendwie hat der sich von Anfang an geziert, und ich musste ihn förmlich überreden, sich mit mir einzulassen. Stell dir das mal vor! Aber ich weiß mittlerweile nicht mehr, was der überhaupt will. Wenn ich ihn frage, wie es mit uns weitergeht, weicht er mir aus. Er meint dann, es sei doch alles gut so, wie es ist. Aber ich möchte, dass wir mindestens zusammenziehen und die Beziehung auf den nächsten Level heben. Immerhin werden wir beide nicht jünger.“

Das klang nicht so toll, aber Beate ließ sich von Toms Verweigerungshaltung nicht beirren. Sie fand ein bezahlbares Haus zur Miete und plante einen Wohnungswechsel. Tom weigerte sich standhaft. Erst als sie ihm mit Schlussmachen drohte, gab er nach, denn offenbar wollte er die Annehmlichkeiten wie regelmäßige Mahlzeiten und kostenlosen Sex nicht verlieren.

Beate hatte ihre Vision von einem Leben zu zweit, und sie versuchte, sich dieses gewaltsam zusammenzubauen, als wären Hoffnungen und Wünsche bunte Legosteine, die sie nur aneinanderfügen musste, damit aus ihnen ein Wolkenkuckucksheim entstünde.

Sie setzte sich durch. Tom willigte in den Umzug ein – unter der Bedienung, dass er ein eigenes, abschließbares Zimmer bekäme.

Am Tag des Umzuges halfen wir Freunde alle mit. Alle, außer Tom. Der musste nämlich angeblich einem Kumpel bei einer Autopanne Nothilfe leisten und kam erst, reichlich angeschickert, zurück, als wir bereits sämtliche Möbel ins Haus gewuchtet hatten und uns gerade ausruhten. Dann setzte er sich aufs Sofa, grinste verlegen und schlief anschließend ein.

„Ist hart für ihn, dass er seine Wohnung aufgeben muss, da hat er wohl etwas über die Stränge geschlagen“ entschuldigte ihn Beate verlegen. Wir dachten uns unseren Teil und schwiegen. Man sagt nie was, wenn man sieht, wie jemand in sein Verderben rennt. Ist ja nicht unser Verderben. Ein klein wenig schäme ich mich sogar heute noch dafür.

Ich hörte in der Zeit nach dem Einzug in das Häuschen nicht mehr viel von Beate und Tom. Scheinbar hatten sie sich eingerichtet und kamen zurecht. Einmal erschienen sie auf meiner Halloweenparty gemeinsam gegen 20:00 Uhr und gingen sich dann bis ungefähr 3:00 Uhr erfolgreich aus dem Weg. Aber immerhin verließen sie die Party zusammen wieder – sie hatten denselben Heimweg.

Beate war nach Jahren mit Tom immer noch nicht schwanger, geschweige denn verheiratet. Tom trug nach wie vor seinen alten grünen Parka und trank zu viel. Aber wie das so ist mit guten Bekannten, gelegentlich verliert man sich aus den Augen. Und so fiel mir gar nicht auf, dass ich schon länger nichts mehr von Beate und Tom gehört hatte.

Letzte Woche nun bemerkte ich am späten Nachmittag, dass mir für das Abendessen noch ein paar Zutaten fehlten, also machte ich mich auf den Weg zum Supermarkt.

Als ich durch die Gänge irrte, hörte ich, nur durch ein Regal getrennt, die lauten Stimmen von Beate und Tom. „Ich zahl das nicht, basta!“ Das war Tom, und er schien recht aufgebracht zu sein. Von unheilvoller Neugierde getrieben arbeitete ich mich von den Cerealien zu den Hygieneartikeln. Tom schwenkte gerade entrüstet eine Packung Wattestäbchen. Beate tappte stinksauer von einem Fuß auf den anderen und starrte mich entgeistert an.

„Hallo, ihr beiden“ grüßte ich, während ich schon bereute, mich herangeschlichen zu haben. „Der sagt, er will die Wattestäbchen nicht mitbezahlen!“ schimpfte Beate los und funkelte Tom wütend an.

Ich warf einen Blick auf den Einkaufswagen. Darin lagen nur ein 10er-Pack WC-Papier und ein großer Stapel Katzenfutter. Tom und Beate trugen aber jeweils einen Einkaufskorb am Arm. „Das ist mein Zeug!“ Beate deutete auf ihren roten Plastik-Korb. „Da kommen nur Sachen rein, die ich allein verwende.“

„Ja, und das meiner!“ Tom schwenkte den roten Korb an seinem Arm, in dem Rasierschaum, Klingen und ein Männer-Duschgel lagen.

„Und jetzt will Beate Wattestäbchen und Küchenrollen in den Einkaufswagen mit den Sachen legen, die wir gemeinsam kaufen.  Das akzeptiere ich nicht, weil sie so verschwenderisch mit dem Zeug umgeht. Ich brauche zwei Wattestäbchen im Jahr. Das bezahle ich nicht mit.“ Tom schien wirklich entrüstet.

„Ich hoffe, dir bricht mal eins ab und bleibt dir im Ohr stecken, du Depp!“ zischte Beate fuchsteufelswild. Dann wandte sie sich an mich. „Es ist doch die Höhe, dass dieser Geizkragen sich nicht dran beteiligt. Demnächst wird bei uns wohl noch das Klopapier abgezählt?“

Tom grinste verlegen. „Und was ist mit den Küchenrollen?“ fragte ich irritiert.

„Na, jedes Mal, wenn Beate was überläuft am Herd, dann nimmt sie so ein Papiertuch und wischt da drüber!“ nuschelte Tom. „Da kann man einen Lappen benützen. Es ist einfach unerträglich, wie sie mit den Sachen umgeht und das Geld raushaut. Genauso ist es mit den Putzmitteln. Man muss doch nicht einen halben Liter Kloreiniger ins WC schütten. Eine Bürste täte es auch. Sie kann einfach nicht sparen.“

„Und du bist geizig wie die Nacht dunkel. Der hat jetzt sogar eine eigene Kommode“ berichtete Beate. „Stell dir vor, die ist abgeschlossen. Da war seine blöde Schokolade drin, und kürzlich hatte ich Lust auf Süßes und hab mir eine Rippe von seiner Schokolade genommen. Eine Rippe!“ Sie schaute Tom anklagend an.

„Das ist die gute Fair-Trade-Bio-Schoki“ verteidigte sich Tom. „Du kannst dir ja was von dem Billigfraß holen. Aber wenn du zu geizig bist, dir anständigen Süßkram zuzulegen, dann mach nicht mich dafür verantwortlich.“

„Habt ihr beiden denn festgelegt, was gemeinsam bezahlt wird?“ fragte ich vorsichtig und schaute nochmal in den Einkaufswagen, wo einsam Katzenfutter und Klopapier lagen.

„Ja, haben wir“ maulte Beate. „Aber scheinbar will er neu verhandeln, weil ich mehr Klopapier verbrauche als er. Männer benutzen seiner Aussage zufolge nach dem Pinkeln kein Papier, und deshalb zahlt er angeblich immer drauf.“

„Das stimmt doch, oder?“ Tom blinzelte mich beifallheischend an. Endlich ging mir ein Licht auf. Die beiden brauchten einen Schiedsrichter. Und der wollte auf keinen Fall ich sein. „Sorry, ich muss dringend los, brauch noch gefüllte Eichhörnchen fürs Abendessen“ murmelte ich deshalb verlegen und schaute, dass ich wegkam, nachdem ich mich hastig verabschiedet hatte.

Ich mische mich grundsätzlich nicht in Beziehungsangelegenheiten. Da könnte ich auch gleich in einen riesigen Gartenhäcksler hüpfen und darauf warten, dass dieses Ding mich als kleingemahlene Brösel auf den Gehweg spuckt, denn man kann, wenn es um die Streitigkeiten anderer Leute geht, eigentlich nur alles verkehrt machen.

Auf dem Heimweg dachte ich über dieses Treffen nach. Scheinbar lagen die Probleme noch tiefer, als mir Beate bei den letzten Telefonaten gestanden hatte. Am nächsten Tag rief sie mich an.

„Ich habe gestern die Wattestäbchen und die Küchentücher bezahlt“ erzählte sie mürrisch. „Der war eigentlich von Anfang an so geizig, wenn ich darüber nachdenke. Aber jetzt ist es ihm nicht mal mehr peinlich. Das einzige, das er mal kocht, wenn er das Essen selbst kauft, sind Rühreier oder Kartoffeln. Und jedes Mal sieht es hinterher aus in der Küche wie im Libanon. Ich muss aber alles saubermachen, weil der keinen Finger rührt.“

Im Grunde genommen signalisiert Tom Beate durch jede Pore, dass er nicht mit ihr leben möchte. Er verkriecht sich oft tagelang in seinem Zimmer, wo Beate, wenn sie vorbeiläuft, nur den Fernseher vernimmt oder Tom im Flüsterton telefonieren hört. Auf gut Deutsch: Er separiert sich, so gut er kann, denn er wurde genötigt und lebt jetzt etwas, das er nicht möchte. Das lässt er Beate deutlich spüren.

Die Weigerung, sich an minimalen Ausgaben für den täglichen Bedarf zu beteiligen, darf umdefiniert werden in eine Weigerung, ein Leben zu zweit, wie Beate es sich vorstellt, zu führen.

Genaugenommen hat sie nichts erreicht, außer dass sie in dem neuen Haus eine größere Fläche putzt als vorher in ihrer kleinen Wohnung, denn Tom sieht nicht ein, dass er einen Finger in diesem Haushalt rührt, den er eigentlich gar nicht wollte. Ihm hätte seine düstere Bude mit Blick auf den Hinterhof weiterhin genügt. Erholen konnte er sich ja immer in Beates blitzsauberem Appartement.

All das – den Geiz, die Lethargie, diese völlige Verweigerung von allem, was Beate wichtig wäre, registrierte sie damals beim Kennenlernen nicht.

Sie sah nur einen schlanken, intelligenten Mann in ihrem Alter und dachte sich: „Wenn wir erst mal zusammen sind, wird der seine Einstellungen schon ändern.“ In verständliches Deutsch übersetzt bedeutete das: „Ich brauche einen Mann, dringend, sofort, und dann nehme ich eben, was ich kriege und biege mir das zurecht.“ Basta.

Bestünden Männer aus Knetmasse, hätten wir Frauen es einfacher. Aber sie sind eigenständige Persönlichkeiten, die sich nicht verformen und schon gar nicht brechen lassen. Ab einem gewissen Alter ist die Persönlichkeitsentwicklung abgeschlossen, und Sie müssen das ganze Paket nehmen, mit allem, das drin ist, ob Ihnen das gefällt oder nicht. Darum sollten Sie genau hinsehen, worauf Sie sich einlassen. Manche Wundertüte enthält eben kein Feuerwerk, sondern nur ein paar abgebrannte Zündhölzer. Selbst schuld, wenn Sie nicht vorher nachsehen. Und man kann auch nicht behaupten, dass Tom Beate getäuscht hätte. Schon beim ersten Treffen machte er unmissverständlich klar, was ihm wichtig war: nichts außer seinen Oldtimern. Sie hat nur nicht zugehört.

Beate wollte damals nicht nachdenken. Sie war zu optimistisch, sie war zu hungrig nach Zuwendung, und sie war zu einsam.

Ihr ging kein Licht auf nach den ersten 10 Dates, bei denen sie nicht nur ihr eigenes Essen bezahlte, sondern Tom sogar einladen musste, weil er in seinem Geldbeutel herumkramte, als suche er auf dem Grund des Münzfaches nach der versunkenen Stadt Atlantis. Ihr ging kein Licht auf, als er immer wieder Verabredungen absagte, weil ein Ersatzteil für seinen Oldtimer eingetroffen war, das er einbauen musste. Beate wollte einen Mann, sie wollte ihn bald, und Tom war da und schien keinen sonderlich ausgeprägten Fluchtinstinkt zu haben. Das genügte ihr.

Neulich musste Beate zum Arzt. Ihr eigener Wagen war in der Werkstatt, also bat sie Tom darum, sie hinzubringen. Er verlangte 10 Euro fürs Benzin. Ist wirklich wahr.

Viel mehr kann man sich nicht abgrenzen.

Beate ist auch nach der „Wattestäbchen-Affäre“ weiterhin mit Tom zusammen, obwohl sie durchaus erkennt, dass ihre Beziehung gescheitert ist. Aber sobald sie diese Tatsache anerkennt, müsste sie die Konsequenzen ziehen und sich von ihm trennen.

„Wir sind jetzt fünf Jahre zusammen, es kann nicht sein, dass ich diese Zeit umsonst investiert habe!“ erklärte sie mir am Telefon grimmig. „Es gibt schlimmere Kerle als ihn. Wenigstens geht er nicht fremd.“

So kann es gehen, wenn Verzweiflung auf Gleichgültigkeit trifft. Tom, der eigentlich auch ohne Beziehung gut zurechtkam – er war ohnehin viel zu lethargisch, um sich selbst eine Frau zu suchen – ließ sich „einfangen“ von Beate, die lediglich nicht mehr allein sein wollte.

Für Tom ist Heiraten eine überholte Institution. Das würde ich an seiner Stelle auch behaupten, denn wenn er Beate ehelicht und mit ihr Kinder bekommt, bleibt für die Schrauberei an seinen alten Schrottkisten weniger Zeit oder Geld als vorher, und Ersatzteile kann er sich vielleicht auch nicht mehr leisten. Das scheint seine größte Sorge zu sein.

„Manchmal denke ich mir, er hat sich schon heimlich einer Vasektomie unterzogen“ klagte Beate am Telefon ihr Leid. „Es kann doch nicht sein, dass ich ums Verrecken nicht schwanger werde, obwohl ich es mir so wünsche.“

Merken Sie was? Beide Teile dieses Paares tun eigentlich, was sie wollen. Sie täuschen eine Partnerschaft lediglich vor, und das nicht mal besonders gut. Das kann nur in einer Katastrophe enden. Nur weil man sich innerhalb derselben vier Wände bewegt, dieselbe Toilette benützt, gelegentlich gemeinsam kocht oder isst, bedeutet das nicht, dass man eine Beziehung führt. Die beiden haben eine Wohngemeinschaft mit gelegentlichem Geschlechtsverkehr in den wenigen Momenten, in denen sie sich nicht gerade um Wattestäbchen oder Küchennutzung streiten.

Etwas Traurigeres kann ich mir nicht vorstellen.

„Manchmal laufen wir morgens aneinander vorbei und murmeln nur hallo“, erzählte Beate. „Als wären wir Gäste in einer Pension. Da ist nichts Herzliches oder Liebevolles mehr. Wenn ich nur verstehen könnte, warum er so reserviert ist.“

Die Masken sind also gefallen. Trotzdem ist die Möglichkeit groß, dass beide dieses traurige Spiel weiterspielen. Tom wäre schön dumm, Beate zu verlassen, denn sie hält das Haus sauber, versorgt seine Katzen, wenn er wieder mal eine Sauftour mit seinen Kumpels macht und kocht gut. Mit Lebensmitteln, die sie bezahlt.

Seit dem Vorfall im Supermarkt haben die beiden getrennt angelegte Vorräte, über die strengstens Buch geführt wird.

All das artet aus zu einem Partisanenkrieg, bei dem es nur noch darum geht, wer dem anderen zuerst eine Handgranate vor die Beine wirft, um ihn ins Straucheln zu bringen, damit er schadenfroh lachen kann. „Wenn du mich schon nicht liebst, dann möchte ich, dass du leidest.“

Da quälen sich zwei vernunftbegabte Wesen täglich aneinander vorbei, die eigentlich Freunde sein und zusammen eine Menge Spaß haben könnten, wären sie nicht durch irrationale Vorstellungen und lethargische Nachgiebigkeit aneinander gekettet wie Galeerensklaven.

Ich als Frau verstehe Beates Sehnsüchte. Mit Ende 30 will man nicht mehr konsequenzlos vor sich hinleben, sondern Verbindlichkeiten generieren. Man möchte einen Partner, der sich erklärt und sagt: „Zu dieser Frau gehöre ich, mit ihr möchte ich mein Leben gemeinsam meistern.“

Aber gleich, was Beate anstellt: Tom gleicht diesbezüglich einem Ei. Je länger sie es kocht, um so härter wird es. Sie wird weiterhin warten und hoffen, bohren, nörgeln und quengeln. Denn sie hat ja laut eigener Aussage „Zeit investiert“. Als würde diese einem nicht durch die Finger rinnen wie giftiger Sand, als wäre Zeit eine messbare Größe, wie ein Stapel Goldbarren, etwas, das sich nicht sofort verflüchtigt, nachdem man es gelebt hat.

Eine Beziehung ist keine Spardose, wie zum Beispiel ein kleines Schweinchen, das man in einer Notlage mit dem Hammer zerdeppert, um dann herauszuholen, was man vorher reingeworfen hat. Eine Beziehung ist, was beide Partner daraus machen, wenn es denn beide wollen.

Genau darum sollte man aufmerksam zuhören, wenn man jemanden kennenlernt. Gesetzt den Fall, man wird nicht angelogen (auch solche Männer gibt es leider), lassen sich schon aus den ersten Unterhaltungen Rückschlüsse ziehen, ob es sich bei unserem Objekt der Begierde um einen potenziellen Kandidaten für ein Leben zu zweit handelt, oder nur um eine Feuerfliege, die nach einer gemeinsamen Nacht verglüht.

Zu glauben, man könne einen Menschen von etwas überzeugen, das er vom ersten Moment an kategorisch ablehnt, ist eine Lüge gegenüber sich selbst. Druck erzeugt Gegendruck. Je mehr Beate will, umso mehr verweigert sich Tom. Sie führen ihre kleinlichen Scharmützel um Küchenrollen und Wattestäbchen vertretungsweise für ihre diametral verlaufenden Lebensvorstellungen. Es geht nicht um Küchenkrepp oder Kleingeld – es geht um alles, denn die Zeit, dieser flüchtige Stoff, mit dem wir nur begrenzt ausgestattet sind, verfliegt in rasendem Tempo, je älter wir werden.

Beate und Tom – diese beiden tragischen Figuren – werden nur noch vom Kleber der zusammen verbrachten gemeinsamen Jahre zusammengehalten, der mittlerweile an vielen Stellen bröckelt.

Und darum, wenn Ihnen das Leben eine dieser „Wundertüten“ präsentiert, in Form eines Mannes, der Sie gewinnend anlächelt, wenn ihr Herz Purzelbäume schlägt und die Schmetterlinge in Ihrem Magen wilde Flugmanöver veranstalten – bleiben Sie vorsichtig.

Manche Überraschungen sind nämlich böse und unserer seelischen Gesundheit abträglich. Es ist immer besser, rational zu sondieren, worauf man sich einlässt. Halten Sie nicht an sinnlosen Gegebenheiten fest, machen Sie sich frei davon, dass jeder, der Ihnen schöne Worte ins Ohr flüstert, mit Ihren eigenen Vorstellungen von einem gemeinsamen Leben konform gehen müsste.

Das Leben ist eine fiese Lotterie mit wesentlich mehr Nieten als dem sehnsüchtig erwarteten Hauptgewinn. Manchmal darf man nur zwischen einer neuen Zahnbürste oder einem Schokoriegel wählen. Nehmen Sie ruhig, was das Schicksal Ihnen bietet, aber versuchen Sie nicht, den Trostpreis zum Hauptgewinn umzudefinieren.

Belügen Sie sich nicht selbst. Sie müssten sich die Wahrheit wert sein. Betrachten Sie mit dem falschen Partner verschwendete Zeit nicht als fehlgeschlagene Investition, sondern als das, was sie ist: ein Irrtum, dem Sie erlegen sind. Fehler machen wir alle. Wir sollten nur darauf bedacht sein, sie nicht zu wiederholen.

Ich wünsche Ihnen alles Gute und eine schöne Zeit.

Herzlichst,

Ihre Barbara Edelmann

Bildnachweis: pexels.com

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