Donnerstag, 21. November, 2024

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Wenn Selbstverständlichkeiten verschwinden – Kolumne aus der Chefredaktion

Eigentlich sollte die Überschrift lauten: “Wenn Selbstverständlichkeiten verschwinden und was das mit Elton John zu tun hat”. Natürlich ist so eine Überschrift viel zu lang, deshalb hier die Erklärung, warum der britische Sänger als Illustration zu meiner Kolumne herhalten muss.

Das hängt nämlich folgendermaßen zusammen: Vor gefühlt 100 Jahren war ich einmal auf einem Konzert von Elton John. Es fand vor der grandiosen Kulisse des Leipziger Völkerschlachtdenkmals statt und war eher eine gesetztere Veranstaltung. Auch im Wortsinn: Die Leute saßen brav auf ihren Sitzen und meiner Erinnerung nach spielte Elton John fast ausschließlich langsame Songs am Klavier. Es war deshalb keines dieser Konzerte, bei denen es die Massen von den Sitzen hebt und alle im Stehen mitklatschen. Dies aber nur am Rande. Auf jeden Fall habe ich die ganzen Jahre danach immer im Hinterkopf gehabt, wieder einmal ein Konzert von Elton John zu besuchen. Einfach weil ich den Künstler absolut mega finde und seine Songs noch von einer Sorte sind, die es heute kaum mehr gibt.

Selbstverständlichkeiten: Dazu gehörte bislang auch, ein Elton-John-Konzert zu besuchen

Vor einigen Tagen dann las ich – eher aus Zufall – eine Meldung im Netz, die sich um die Abschiedstournee von Elton John drehte. Die nunmehr bereits zu Ende gegangen ist, denn Medienberichten zufolge, gab der Brite sein letztes Konzert im Juli 2023. Die Erkenntnis, dass ich nie wieder ein Konzert von John besuchen kann, traf mich wie ein Schlag. Eigentlich komisch, denn ich hätte ja die ganzen Jahre eines von ihm besuchen können. Doch mit Elton John war es für mich wie mit -zig anderen Selbstverständlichkeiten auch: Sie sind doch da. Dachte ich zumindest. Falsch gedacht!

Denn aktuell – so fühlt es sich für mich an – gehen mehr und mehr Selbstverständlichkeiten den Bach herunter. Da ist der Weltstar natürlich nur eine “Luxus-Selbstverständlichkeit”, die sich aber einreiht in Dinge, die ich bislang für gegeben hinnahm, die aber nach und nach verschwinden.

So zum Beispiel der Kundendienst bei Amazon. Hob sich der Versandriese bislang mit seiner stets persönlich besetzten Hotline, die man rasch an die Strippe bekam, von vielen anderen Unternehmen, die telefonisch kaum bis gar nicht mehr erreichbar sind, ab, so wird es jetzt auch bei Amazon kompliziert. Möchte man nun den Kundenservice dort sprechen, muss man im Vorab ein aufwendiges Identifikations-Verfahren durchlaufen.

Persönliche Telefonate mit Amazon sind jetzt unglaublich kompliziert

Ehe der Kundenberater, den man durchaus noch schnell ans Telefon bekommt, den gewünschten Vorgang mit einem klären kann, muss dieser zuvor noch eine Mail oder eine SMS an den Anrufer senden. Der Anrufer – also der Kunde – muss dann einen Link in der Nachricht oder in der Mail per Klick bestätigen und erst dann kann der Amazon-Mitarbeiter sich um das Anliegen des Anrufers kümmern. Mega umständlich! Vorbei die Zeiten, als man das internationale Versandhaus anrief und sofort persönlich mit jemandem sprechen konnte. Schade. Sehr, sehr schade! Und unverständlich. Was um Himmels willen haben die Verantwortlichen dort für ein Bild von Service und Dienst am Kunden? Man begreift es nicht. Und auch eine andere Selbstverständlichkeit, die bis jetzt mein Leben begleitete, verschwindet.

Und zwar der gute alte Bankautomat. Was bislang normal war und eigentlich auch zur kommunalen Daseinsvorsorge zählt, wird auf einmal zum Mangel. Nämlich der Erhalt von Bargeld. Bis vor kurzem war es für mich beispielsweise noch möglich, im Nachbardorf, wo sich auch eine beliebte Eisdiele befindet, an einem Bankautomaten Bargeld zu holen. Das Zahlungsmittel ist bekanntlich von Vorteil, wenn man sich mal mit der Familie eben ein Eis auf die Hand holen und damit zum nahegelegenen See spazieren will. Allerdings wurde dieser Bankautomat einfach so abgebaut. Und mit ihm auch der im übernächsten Dorf. Bargeld gibt es hier im Ländlichen jetzt nur noch in den nächsten Kleinstädten oder bei Penny.

Auf dem Land geht ohne Bargeld vieles nicht

Das nervt schon sehr. Denn das spontane Eis essen oder der Hofflohmarkt am Wochenende sind nur drin, wenn man Bargeld einstecken hat. Vergisst man am Freitag oder Sonnabend selbiges beim Einkaufen abzuheben und überlegt sich Sonntag spontan, in die Eisdiele oder auf eine Vergnügung im nächsten Dorf zu fahren, ist man ohne die Scheine und Münzen aufgeschmissen. Kein Hoffest oder Eis schlecken ohne Bargeld.

Als Grund, warum aktuell so viele Geldautomaten abgebaut werden, wird häufig der “nicht lohnenswerte Weiterbetrieb” genannt, was aber eigentlich nicht sein kann. Womit wir wieder bei der kommunalen Daseinsvorsorge sind, die eigentlich die Präsenz von Geldautomaten enthalten sollte, wie es auch manche Partei im Web verlautbaren lässt. Dass der Wegfall dieser Bargeldquelle vor allem für ältere und/oder nicht mehr so mobile Menschen ein Problem ist, muss sicher nicht erwähnt werden.

Insofern ist dieser Kahlschlag, der aktuell landauf-landab – vor allem im Ländlichen – wütet, ein weiterer Nagel im Sarg der zu beerdigenden Selbstverständlichkeiten.

Manches stört ganz junge Menschen sicher nicht

Natürlich frage ich mich, ob es vielleicht am Alter liegt, dass ich derlei Dinge moniere? Denn ganz, ganz junge Leute wird vieles von dem, was gerade wegfällt, gar nicht stören. Elton John ist sicher eher für reifere Semester ein Superstar und telefonieren (zum Beispiel mit Amazon) wollen ganz junge Menschen sicher gar nicht mehr (meist chattet man, was ja auch Amazon für die Kundenkommunikation bevorzugt anbietet). Bleibt das Bargeld-Problem. Das betrifft alt und jung gleichermaßen und da auf auf dem Dorf eine Menge junger Leute wohnen, wird das für diese Generation wahrscheinlich genauso nervig sein, wie für mich.

Aber wahrscheinlich findet man sich als junger Mensch noch eher damit ab, während ich mit so mancher Veränderung hadere. Und mir einmal mehr die Frage stelle, ob nicht mal irgendwas bleiben kann, wie es ist?

Ich bin mir sicher, dass ich mit diesem Wunsch garantiert nicht alleine dastehe. Allerdings: Besser wird`s garantiert nicht – der Abbau der nächsten Selbstverständlichkeiten ist ganz bestimmt schon im Gange.

Ich betrauere diesen Verlust am besten mit einem melancholischen Song von Elton John. Konzerte gibt er ja nun nicht mehr. Zumindest nicht für normal Sterbliche. Würde ich im Lotto gewinnen, hätte ich sicher noch eine Chance: Auf ein Privatkonzert.

Bild: picture alliance / Joel C Ryan/Invision/AP | Joel C Ryan

 

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