Politisches, gesellschaftliches und aktuelles Zeitgeschehen: In der X-Community geht es vordergründig im die tagesaktuellen Geschehnisse. Privates ist – im Gegensatz zu Instagram und Facebook – eher die Ausnahme. Der Großteil der deutschen User dieser Plattform diskutiert über Politik. Allen voran Journalisten, Medienleute und Politiker selbst. Insofern darf man gut und gerne von einer Blase sprechen, einer Bubble, in der dort diskutiert wird. Für die Frau von nebenan ist X eher weniger ein Thema. Und doch lassen sich zwischen den ganzen erbitterten Polit-Diskussionen ab und zu regelrechte „Perlen“ finden, die zu lesen sich lohnt. Ein aktueller Tweet, der emotional zu Herzen geht und der sich eine Diskussion um „einsam“ und „allein“ anschließt, beweist das.
Einsam oder allein: Es gibt einen Unterschied
Ein Mann, der auf X seinen Nachnamen mit „Mark Müller“ angibt, postete dahingehend folgendes (Rechtschreibung wie immer im Original):
„Liebes Tagebuch, was mich heute bei meinem abendlichen Spaziergang beschäftigte: Im Grunde bin ich schon mein ganzes Leben alleine. Als Kind war ich alleine, meine Eltern waren furchtbare Menschen, wir mieden einander. In der Schule war ich alleine, die Lehrer hielten mich für das Unterschichten-Kind, das eben oft müde aussieht, keine weiteren Fragen, die Mitschüler für das perfekte Opfer. Dass ich mich ganz kontraintuitiv gegen den mir zugewiesenen sozialen Platz erdreistete, Klassenbester zu sein, machte es noch schlimmer. Hier und da habe ich mal irgendwo dazugehört, reingepasst hab ich nie. In all meinen Beziehungen war ich alleine, weil mein regelmäßiges Bedürfnis nach Alleinsein als Makel identifiziert oder als Zurückweisung interpretiert wurde. Ich hätte wohl mit jemanden zusammen sein müssen, der auch lieber alleine bist, ein Treppenwitz. So gab es kein Verstehen. In meinem Vatersein bin ich alleine, von ihrer Mutter längst im Guten getrennt, musste ich mich alleine darin zurechtfinden, ohne Eltern oder Vorbilder. In meiner Arbeit bin ich alleine, seit über 20 Jahren selbstständig im Home-Office. Alles, was ich heute tue, habe ich mir alleine beigebracht, es gab nie ein Studium oder eine Ausbildung in meinem Leben. Ich bin gut im Alleinsein. Aber manchmal wünsche ich mir jemanden, der mich zwei Stunden lang versteht. Nur zwei Stunden. Noch nicht mal am Tag, in der Woche. Damit ich nicht einsam bin. Irgendwann, so ist’s der Plan, wenn die Tochter am Wochenende etwas Besseres zu tun hat, als bei ihrem ollen Vater rumzusitzen, kaufe ich mir einen Camper und fahre einfach los. Richtung Norden. Oder Süden. Alleine.“
Die X-Community reagierte in großer Vielzahl auf die emotionalen Zeilen und sprach ihrerseits von ähnlichen Erfahrungen in Sachen Einsamkeit und Alleinsein.
Andere User berichten von ihren Erfahrungen
So antwortet ein User namens „Dark Me“:
„Ich verstehe dich sehr gut. Zum Abschluss der Reha habe ich einen Brief bekommen, da hat ein Mit Rehabilitant geschrieben: „Danke das man mit dir einsam aber auch gemeinsam sein darf“. Alles zu seiner Zeit“
Und „luckypenny1993“ schreibt:
„Ich verstehe Dich. Aber mich versteht auch niemand, weder privat noch bei der Arbeit. Da suchen die Kollegen Anschluss und „Herde“. Ich nicht……gibt immer Ärger. Camper habe ich schon, gibt nix Schöneres als allein mit Hund unterwegs zu sein. Du bist richtig so.“
Ein sensibles Feedback auf das Posting gibt auch Userin „mind_inspiration“, die einen Einblick in ihre Lebenssituation zulässt:
„Ich verstehe dich. Lebe auch allein, mein Sohn ist vor einiger Zeit ausgezogen. Es geht mir ganz gut damit, ich brauche sogar allein sein zu können. Aber so manchmal…“
Userin „ankammer1“ dagegen schildert eigene, belastende Ausgrenzungserfahrungen, die mit nur wenigen Worten erschüttern.
Auch Ausgrenzung, an die sich Einsamkeit anschließen kann, ist ein Thema
Und ahnen lassen, wie prägend sich negative Erlebnisse auf die eigene Vita auswirken:
„Ich kann dich gut verstehen, allein sein ist ein Schutz vor neuen Verletzungen. Ich wurde mein Leben lang ausgegrenzt Familie, Schule, Studium , Arbeit usw. Man wünscht sich Verbindung, hat aber Angst vor erneuter Rückweisung und Unverständnis, ein Teufelskreis“
Es gibt noch viele, viele Antwort-Postings mehr, jedoch würden diese hier den Rahmen sprengen. Auffallend ist, dass viele User offen über das eigene Alleinsein, über Ausgrenzung und Einsamkeit schreiben. Viele andere wiederum geben unumwunden zu, sehr gerne allein zu sein und outen sich als glückliche Einzelgänger.
Ratschläge gegen das Alleinsein
Wieder andere geben – ganz Frohnatur – Ratschläge an den Posting-Ersteller. So auch der User „WDB“ der folgendes schreibt:
„Mit Allein-sein käme ich nicht klar, es würde mich depressiv machen. Hast du schon mal versucht, schlicht in der Kneipe zu sitzen und zwei Pils zu trinken? Einfach so, ohne einen anzusprechen?“
Eine interessante Diskussion, die einmal mehr zeigt, wie präsent diese Themen in der Gesellschaft sind. Längst sind – entgegen manchem landläufigen Denken – nicht nur Senioren einsam oder allein, sondern verschiedene Altersgruppen. Auch wenn natürlich zwischen Einsamkeit und Alleinsein unterschieden und das Wandeln auf Solo-Pfaden nicht immer belastend sein muss.
In unserer Gesellschaft ist Einsamkeit oft zu finden – wenn auch häufig versteckt
Das wird es nur, wenn es tatsächlich Einsamkeit ist, die Betroffene verspüren. Und das scheinen eine ganze Menge Menschen zu sein. Hierzulande ist Einsamkeit deshalb regelmäßig ein Thema.
Während für Senioren schon einige Jahre viel getan wird, das der Einsamkeit im Alter entgegenwirkt – und das europaweit – ist das Thematisieren des ungewollten Alleinseins in jüngeren Jahren erst in letzter Zeit richtig aufgekommen. Weil Jobwechsel, Umzüge, Ghosting / Trennung unter Freunden und exzessive Nutzung des Internets, als eine Art Ersatz für freundschaftliche Beziehungen, mehr und mehr zunehmen. Die Gesellschaft ist mobil wie nie, was Neuanfänge an fremden Orten, aber auch vermehrt Trennungen zwischen Beziehungspartnern mit sich bringt. Oft ist dann auch das Alleinsein im Gepäck. Dieser Zustand wird von vielen – oft nach befreienden Trennungen – allerdings nicht als belastend wahrgenommen. Emotional negativ wird es erst, wenn die Einsamkeit das Alleinsein ablöst.
Viele Menschen wählen das Alleinsein bewusst
Im oben genannten Posting schwingt die Einsamkeit zwar mit, aber vordergründig geht es dem User um das Alleinsein, das er nach eigener Aussage ja gut meistert.
Wie stark jedoch auch Abgeschiedenheit, Ausgrenzung und Isolation in der Gesellschaft ein Thema sind, beweisen die vielen Reaktionen auf den Tweet, der zum Zeitpunkt dieser Texterstellung hier abrufbar ist.
Wer mehr zum Thema erfahren will oder zum Thema Einsamkeit Hilfe, Austausch oder Anregungen sucht, der kann sich unter anderem beim Kompetenz-Netz Einsamkeit informieren.
Quellen:
X-Account von „markmüller1979“, „Dark Me“, „luckypenny1993“, „mind_inspiration“, „WDB“, „ankammer1“
Bild (Symbolfoto): picture alliance / SZ Photo | Lorenz Mehrlich