Urlaubsfotos einkleben, den Hut lupfen, im Lexikon nachschlagen…All das sind vergessene Gesten. Der Autor Alexander Pschera hat diese besonderen Gesten in einem kleinen charmanten Büchlein zusammengefasst. “Vergessene Gesten – 125 Volten gegen den Zeitgeist” heißt es. Es liest sich fast ein wenig nostalgisch, denn viele Gesten, die er beschreibt, kennen die meisten Menschen aus der Kindheit oder aus lange zurückliegenden Jahren. Wer löst schon noch Briefmarken ab oder isst Toast Hawai? Eben! Obwohl – widmet man sich einmal für eine kurze Zeit solchen Tätigkeiten, dann kann man ihn spüren: den Geist der guten alten Zeit.
Denn natürlich gab es vor Jahrzehnten viele Dinge, die einfach besser waren. Oder – sagen wir – geregelter. Man kann auch sagen: schöner!
Viele vergessene Gesten machten einfach Spaß
Oder machte es etwa keinen Spaß, sich nach einem schönen Urlaub an der Ostsee oder im Süden dem Einkleben der Fotos im Album zu widmen? Ein paar lustige Aufkleber bereit zu halten, die CD aus dem Urlaub einzuwerfen und mit einem schönen Glas Wein an die herrliche Ferienzeit zurückzudenken? Zwischen Klebe-Ecken und Stiften…Nimmt man heute ein so gestaltetes Album zur Hand, hat das eine andere Erinnerungsqualität als die schnell geschossenen Fotos auf dem Handy. Klar, die kann man dank modernster Technik sofort auf den Computer übertragen oder aber sie synchronisieren sich von selbst. Aber ein Bild anzufassen, das Papier zu spüren – das hat einfach eine andere Qualität!
Manche Dinge, die Alexander Pschera in seinem Buch thematisiert, haben manche Leute nie kennengelernt. Und das liegt nicht unbedingt am Alter. Kaugummi aus dem Automaten ziehen zum Beispiel. Das war seinerzeit in westdeutschen Gefilden ein beliebter Freizeitspaß für Kinder, während es in der DDR Kaugummi im Automaten gar nicht gab. Und in den Geschäften auch nicht.
Trotzdem ist schon die Erinnerung an diese Geste herrlich nostalgisch. Und so geht es weiter in der kurzweilig beschriebenen Aufzählung des Autors. Mitunter wird es auch sehr skurril. Dann nämlich, wenn der Autor an den Akt des Ziehens der Klospülung erinnert. Wer zieht heute schon noch an Kette oder Strick, wo in den Badezimmern fast überall Spülkästen mit Drückern oder Vorwand-Installationen dominieren?
Was altmodisch wirkt, muss nicht schlecht sein!
Eine andere Geste, die im Buch beschrieben wird, ist das Aufhängen eines Fliegenfängers. Also diese schmierig-klebrigen Bänder, die man aus einer kleinen Rolle zieht und an der Lampe oder vorhandenen Deckenhaken anbringt. Sie sind optisch ein Graus, aber in der Wirkung durch kaum was anderes zu toppen. Das wird so mancher aus Erfahrung bestätigen können…Dennoch gehören diese speziellen Bänder doch irgendwie der Vergangenheit an.
Und auch mit einer anderen im Buch beschriebenen Geste kann der eine oder andere sicher (noch) etwas anfangen: “In die Pilze gehen”. Eine Ausdrucksweise, die „früher“ irgendwie noch öfter verwendet wurde, wenn man sich als Familie aufmachte, um nach dem köstlichen Waldgemüse zu suchen. Außerhalb des eigenen Dunstkreises hört man diese Redewendung mittlerweile allerdings selten.
“Zeitungsartikel ausschneiden” heißt es im Buch auf Seite 56 über ein Ritual, das in den Zeiten von Online-Magazinen und sozialen Netzwerken wohl völlig aus der Mode gekommen ist. Wer heutzutage eine Info aus einem Medium benötigt, findet sie fast immer online. Und statt zur Schere zu greifen, scannt oder screenshottet der User von heute. Auch deshalb eine herrlich nostalgische Geste, die in das Buch passt, wie die Faust aufs Auge!
Gleich im Anschluss daran soll das “Nachschlagen im Lexikon” erwähnt sein, das Alexander Pschera ebenso in sein Buch aufgenommen hat. Hier gilt dasselbe, wie oben für die Zeitungsartikel.
Den Hut lupfen – die wohl nostalgischste Geste im Buch
Die wohl nostalgischste Geste in dem Buch ist auch als Abbildung auf dem Buchcover zu sehen: Den Hut vor jemandem lupfen. Herrlich! Erinnern Sie sich noch daran, wann jemand vor Ihnen den Hut gezogen hat? Wenn sie hieran mehrere oder gar lebhafte Erinnerungen haben, dann sind Sie bestimmt über 85 Jahre alt! Heute lüpft niemand mehr den Hut, außer vielleicht auf einem Pferderennen oder in Adelskreisen. Schade eigentlich! Denn – wenn man es sich recht überlegt, waren das alles gute Sitten, die mit Anstand, Moral und Ordnung einhergingen. Attribute, die heute mehr und mehr verloren gehen und die nicht wenige Menschen gar nicht erst aufweisen.
Weiter geht es mit “Eine Landpartie machen” – eine Redewendung, die lange schon aus der Mode gekommen ist. “Landpartie” – so heißen heute vielleicht noch Zeitschriften für den geneigten Großstädter, aber eine solche machen und das Vorhaben, „auf`s“ oder „über Land zu fahren“ so zu bezeichnen, ist heute kaum mehr drin. Das hat sich alles geändert. Dasselbe gilt für “In die Sommerfrische” fahren, auch eine Geste, die im Buch Erwähnung findet. Sagt so heute keiner mehr.
Apropos: Gibt es eigentlich noch die Möglichkeit, ein Telegramm aufzugeben? Auch dieser Akt ist ein Thema im Buch. Telegrafieren kann man heute ja fast schon als super-antiquiert bezeichnen! Zwei Klicks im Internet und man weiß Bescheid. Telegramme können nicht mehr aufgegeben werden.
Das Buch ist absolut empfehlenswert!
Ebenso begegnet einem in dem kleinen, blauen Büchlein die Beschreibung über eine Tätigkeit, die viele Omas in Kindertagen an ihrem Haus allabendlich ausführte: die Fensterläden schließen. Eine herrlich nostalgische Geste!
Insofern animiert das Buch einen dazu, in Gedanken noch einmal zurück zu wandern – in die gute alte Zeit!
Wer selbst mal reinlesen mag (es sind noch viele, viele Gesten mehr aufgezeichnet): “Vergessene Gesten – 125 Volten gegen den Zeitgeist” von Alexander Pschera, erschienen im DVB-Verlag und zu beziehen unter anderem hier.
Bildnachweis: DVB-Verlag