Ein wunderschöner Spätnachmittag im Herbst und ich verabschiede mich von Freundinnen. Unser jährliches Treffen in Wörlitz ist vorüber und jeder macht sich jetzt – gegen sieben Uhr abends – auf den Heimweg. Die letzten zwei Stunden haben wir für einen ausgiebigen Spaziergang durch das berühmte Gartenreich – bekannt auch für seine schönen Schlösser – genutzt. Zuvor hatte es durchweg geregnet, so dass wir im Lokal festsaßen. Jetzt zog langsam schon die Dämmerung heran, an Bord herbstliche Kühle. Ich gehe zu meinem Auto und genieße die Ruhe und die Abendstimmung. Knapp eine Stunde Fahrt liegt vor mir, fast ausschließlich durch kleine Dörfer und Wälder.
Das Zusammenspiel von blauer Stunde und Natur ist für die Autofahrt perfekt
Ich fahre los und verzichte auf die übliche Unterhaltung im Auto, die sonst via Handy in Form von Podcasts, Nachrichten oder Musik angesagt ist. Es gibt Fahrstrecken, die sind so angenehm und faszinierend, dass man keinerlei Ablenkung braucht. Auf einer solchen Strecke war ich nun heute unterwegs und genoss es, meinen Gedanken während der Fahrt nachhängen zu können. Die Kulisse der blauen Stunde – nicht mehr Tag und noch nicht Nacht – war ideal dafür. Und meine Stimmung auch. Ich ließ die vergangenen Stunden an mir vorüberziehen – das alljährliche Treffen mit alten Freundinnen aus meiner Ausbildung, die viele Jahre schon zurücklag.
In jedem neuen Jahr, an dem unser Treffen stattfindet, gibt es sowohl Neuigkeiten als auch dahinfließende Beständigkeit. Zu erzählen haben wir uns immer etwas. Die Erinnerung an die Ausbildungszeit wird dabei stets lebendig gehalten, sei es durch Anekdoten zu Mitschülerinnen aus der Berufsschule, Begebenheiten mit Lehrern oder im Ausbildungsbetrieb. Logisch, dass diesen Treffen immer auch einen Hauch von Melancholie innewohnt. Für wenige Stunden ist man wieder um Jahre zurückversetzt, sehr jung, sehr unerfahren und mit sehr vielen Zukunftsplänen. Manche davon haben sich umsetzen lassen, manche nicht.
60 Minuten von der Nostalgie zur Gegenwart
Ich denke über diese Zeit und über das Treffen nach und bin froh, zwischen der Verabschiedung der Freundinnen und der Ankunft bei meiner Familie satte 60 Minuten Zeit zu haben. So habe ich genügend Puffer, um von der Nostalgie-Welle wieder in die Gegenwart zu gleiten. Und das im Wortsinn! Mein Gefährt gleitet wie auf Schienen durch die wunderschöne Landschaft, die nun gänzlich von der Dämmerung eingenommen ist. Mir kommen kaum andere Autos entgegen, um diese Zeit ist die waldreiche Strecke kaum befahren. Und so rolle ich zur blauen Stunde durch märchenhaft wirkende Wälder, durch kleine idyllische Dörfer und an Feldern entlang.
Immer im gemäßigten Tempo und nach wie vor meinen Gedanken nachhängend. In den Ortschaften, die ich durchquere, brennt hinter vielen Fenstern Licht. Es macht mir Spaß, in die Räume zu schauen und mir anhand des jeweiligen Häuser-Stils auszumalen, was diese Leute da drinnen wohl jetzt so machen. Wahrscheinlich bereiten sie Abendessen zu oder genießen wie ich die blaue Stunde – vielleicht mit einem guten Buch in ihrem Lieblingsessel.
Gänsehautfeeling beim Durchqueren langer Waldstraßen
Noch immer kommen mir auf den Straßen kaum Autos entgegen, was beim Durchqueren kilometerlanger Waldstrecken sogar ein wenig Gänsehautfeeling mit sich bringt.
Umgeben von so prächtiger Natur, die sich geheimnisvoll und wild zugleich präsentiert, mit den Gedanken an vergangene Jahrzehnte und in Vorfreude auf meine Familie durchströmen mich immer wieder Glücksgefühle. Keine Frage: Eine Autofahrt in dieser Stimmung, zur blauen Stunde und durch eine traumhaft schöne Gegend kann wie eine Stunde Wellness sein!
Und so treffe ich denn entspannt und wieder mit allen Sinnen im Hier und Jetzt bei meiner Familie, die schon auf mich gewartet hat, ein.
Mittlerweile ist es stockdunkel. Die blaue Stunde – sie ist ein flüchtiger Zauber!
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