Ein Gastbeitrag von Heike Klopsch – Weihnachten hat eine seltene Fähigkeit: Diese Zeit bringt das ans Licht, was im Alltag oft übersehen wird. Während überall Lichterketten funkeln und die Welt sich in Geschichten von Geborgenheit und Harmonie hüllt, spüren viele Menschen mit ungewohnter Deutlichkeit, wie es wirklich um ihre Beziehung steht. Auch meine Klientin Lea erlebte diesen stillen emotionalen Druck, als sie begriff, dass ihre Beziehung zu Tom nicht mehr zu retten war. Die Gefühle hatten sich schleichend zurückgezogen, und trotz aller Bemühungen war aus Nähe Distanz geworden. Noch bevor Lea die Trennung überhaupt aussprach, war ein anderes Gefühl schon längst da: Schuld.
Schuld – die stille Begleiterin einer Trennung
Sie war nicht laut, aber beharrlich. Sie stellte sich immer wieder dieselben Fragen: Habe ich zu wenig getan? War ich zu schnell? Trage ich die Verantwortung dafür, dass Tom verletzt wird? Diese Art von Schuldgefühlen trifft nicht nur die Beziehung, sondern vor allem das eigene Selbstbild. Sie stellt infrage, ob man ein guter Mensch bleibt, wenn man geht.
Viele Menschen tragen früh gelernte Muster in sich, die ihnen einreden, Rücksicht sei wichtiger als Wahrheit. Wer solche Botschaften verinnerlicht hat, empfindet in Trennungssituationen schnell übermäßige Verantwortung. Genau das machte es Lea schwer, die Entscheidung zu akzeptieren, die sie eigentlich längst getroffen hatte.
Die Psychologie der Verantwortung – und wo sie endet
Schuldgefühle entstehen oft aus dem Bedürfnis, Verantwortung zu übernehmen. Doch Verantwortung bedeutet nicht, das Glück des anderen garantieren zu müssen. Sie bedeutet, sich einzubringen, zuzuhören und ehrlich zu bleiben – all das hatte Lea über lange Zeit getan. Die Liebe ging trotzdem.
Echte Verantwortung endet dort, wo man sich selbst verliert. Wenn das Bemühen größer wird als die Freude, wenn Gespräche nicht mehr verbinden, sondern erschöpfen, wenn Nähe sich anfühlt wie ein Kompromiss gegen das eigene Herz, dann ist es nicht egoistisch, sondern notwendig, die Wahrheit anzuerkennen. Unberechtigte Schuld entsteht dort, wo man mehr Verantwortung übernimmt, als einem zusteht. Sie ist ein hartnäckiges Gefühl, aber kein Beweis für tatsächliches Versagen.
Warum unberechtigte Schuld so zerstörerisch sein kann
Unberechtigte Schuld fühlt sich täuschend echt an. Sie vermittelt das Gefühl, moralisch im Unrecht zu sein, obwohl man lediglich ehrlich ist. Diese Art der Schuld kann lähmen und Entscheidungen verzögern, die längst überfällig sind. Sie hält Menschen in Beziehungen, die ihnen innerlich nicht mehr guttun, nur weil sie Angst haben, jemanden zu verletzen.
Lea musste verstehen, dass ihre Schuldgefühle nicht bedeuteten, dass sie wirklich schuldig war. Sie zeigten vielmehr, wie sehr sie sich um andere kümmerte – manchmal mehr, als sie sich selbst zugestand.
Der Schmerz desjenigen, der geht
Während unser Mitgefühl oft dem Menschen gilt, der verlassen wird, bleibt der Schmerz desjenigen, der geht, im Hintergrund. Doch gerade dieser Mensch hat oft schon eine intensive Trauerphase hinter sich – verborgen und unsichtbar. Auch Lea hatte lange vor der Trennung geweint, gehofft und immer wieder versucht. Die eigentliche Trennung hatte in ihrem Inneren schon Monate zuvor stattgefunden.
Mut, Klarheit und der schwierigste Satz der Welt
Eine Trennung auszusprechen, verlangt Mut. Sie verändert zwei Leben und erzeugt Schmerz – und dennoch ist Klarheit der größte Akt der Fairness. Wer lange gezweifelt hat, weiß, wie sehr Worte Gewicht bekommen, wenn man sie endlich ausspricht. „Ich möchte gehen…“ – dieser Satz ist gnadenlos. Man weiß, welchen Schmerz man dem anderen zufügt. Und genau das führt dazu, dass viele in dieser Situation versuchen, den Abschied weicher zu formulieren oder Hoffnung zu lassen, um die Schuldgefühle zu lindern. Doch das hilft selten. (Scheinbare) Nähe im Moment des Loslassens verwirrt und erschwert beiden den Übergang.
Warum digitale Trennungen besonders verletzen
Eine Trennungsnachricht über WhatsApp mag im ersten Moment einfacher erscheinen, doch sie hinterlässt tiefe Wunden. Der Mensch, der einmal wichtig war, verdient eine persönliche Begegnung. Alles andere verstärkt Unwürdigkeit und vergrößert das Schuldgefühl später nur noch mehr.
Der trügerische Trost des Satzes „Wir bleiben Freunde“
Der Satz klingt freundlich und mild, doch oft entspringt er eher dem Wunsch, die eigene Schuld im Moment zu lindern, als einer realistischen Einschätzung. Freundschaft braucht Abstand – und den können frisch Getrennte kaum halten. Erst wenn die Wunden verheilt sind, kann sich zeigen, ob eine spätere Verbindung möglich ist.
Schuld loslassen – und sich selbst erlauben weiterzugehen
Am Ende bleibt fast immer die Frage nach der Schuld. Doch ein Großteil dessen, was Menschen in Trennungssituationen als Schuld empfinden, ist in Wahrheit Mitgefühl, Loyalität und die Angst, jemanden zu verletzen, der einem einmal viel bedeutet hat. Schuld ist ein Gefühl, kein Urteil über die eigene moralische Qualität.
Wer geht, darf Mitgefühl empfinden, ohne sich selbst zu verurteilen. Und wer bleibt, darf traurig sein, ohne einen Schuldigen suchen zu müssen.
Man kann es nicht klein reden: Eine Trennung ist eine schmerzhafte Zäsur, doch sie schafft auch Raum für ein Leben, das wieder im Einklang mit einem selbst steht. Wenn die Schuld ihre Macht verliert, entsteht Platz für Wahrheit – und die Möglichkeit eines neuen Anfangs.
Die Autorin: Heike Klopsch betreibt seit mehreren Jahren erfolgreich die Coachingpraxis Herzkümmerei in Hamburg. Ihre Schwerpunktthemen sind Liebeskummer und Trennung. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt dabei auf Bindungsstilen und Selbstwert. Weitere Artikel der Expertin finden Sie in unserem Magazin unter anderem hier.
Bilder: Heike Klopsch, pixabay /HekMek_real